Von Jean Paul an Christian Otto. Leipzig, 18. Juni 1798.
Brieftext
Lieber Otto! Habe Dank für deine Nachrichten und Absichten. Nun
ist doch wenigstens die Finsternis des Aufenthalts, in
welcher die
Phantasie ihre Gespenster am liebsten erscheinen
lässet, weggeschaft.
Unerwartet aber wirkte deine Nachricht.
Vorher war ich fast versöhnt
gegen ihn; seine Gestalt gieng
immer mit dem gerührten abgewandten
Gesicht um mich,
womit er mir in Dresden vor Pfingsten in einem
Traume abschiednehmend aus meiner Stube erschienen war (da
ich
doch nie, am wenigsten so von ihm träumte) daher ich
mit grösserer
Sehnsucht nach
L[eipzig] kam. Auf seinen ersten Brief
aus Halle hätt
ich ihn fröhlich zurükgerufen.
Jezt bleibt er unabänderlich wo er ist, wenigstens eine Zeitlang.
Ich gestehe, die Lüge mit Halberstadt — und ich armer Nar
wolte
sogar an Gleim Requisitoriales senden — (wenn’s eine ist, da er sogar
meinen Reichardt für Reisende zu meinem Wehe mitgenommen)
und
die Kälte bei einer solchen Lüge sind meinem Innern bitterer
als sein
neufränkischer Grif, besonders wenn er so viel Geld
(ich fand es bei
einem Nachzählen über 150 sächs. rtl.) nicht zur
Wieder[er]oberung
des andern sondern nur zum EtablissementDaher er so lange in
L[eipzig] blieb, als er meine Ankunft
nicht fürchtete.
genommen hätte. Mit
welchem Vertrauen nach dem
Misbrauche eines überschwenglichen
tugendhaften, könt ich ihn
nur einen Tag unter meinen Büchern und
Geldern lassen? Meine
Nähe kan so wenig seine Besserung machen, als
sie seine
Verschlimmerung verhütete. Ausgehen mus er und ich, und
spielen kan er also wenn er wil. Überhaupt mus er einmal Freiheit
ertragen lernen, die er doch bekäme, da ich mit meinem
Heirathen nicht
auf sein Ausstudieren harren würde. Er mag
jezt am dünnen Zweige
der Noth zu LehreBei mir hätt’ er darum nie eine Strafe, weil er jede Minute, wenn er
wolte,
mit meinem Gelde gehen könte, wenn er
wolte.
eine Zeitlang zappeln und hängen; ich weis
doch, wo er
ist und bin allemal da. Ohne eigne Briefe von ihm thu
ich keinen Schrit. — Was mich stuzig gegen ihn machte, war die
Spielerkraft seiner Verstellung, da er an demselben Morgen, wo
er,
wie er schreibt, mir alles entdecken wolte, freudig und
spashaft war
und mir sogar als ich hinaus
war einen starken Spas nachrief, der
sich erst auf der
Gasse entwickelte. Die ihm aufgetragnen Sachen hatt
er
besorgt, sogar einen Wäschzettel dagelassen — nur meinen Rosen
stok nicht begossen, dessen Tod ich in der häslichen Minute
mit allem
Schmerz der Aehnlichkeiten fühlte. Ach mein Bruder
mit dem weichsten
Herzen und dem besten Kopfe liegt unter der Erde neben dem
Wasser!
Die andern alle sind nicht so. Der Rendant hat einen mich
ausholen
sollenden Brief an mich geschrieben; ich komme aber
mit nichts zuvor.
Die Palingenesien werden erst in 8 Wochen fertig, 2
Pressen
drucken daran. Klinger solst du mit den Büchern haben, sogar
viel ist
nicht daran; die neulichen wählt ich. — Das Schiksal gab mir
für
meinen Zuchthausempfang in Leipzig, das, was ich mir
nicht ganz
geben kan — die Sabbatswochen. Ich lebe stil und in mir
friedlich und
durch den Sommer einsam — besuche nur
Leut[e] auf dem Land —
arbeite gelingend am Titan, von dem höchst wahrscheinlich zu Ostern
2 historische Bände und 1 satirischer erscheinen — jezt
durch dich sogar
ohne die Stiche der brüderlichen Erinnerung —
fliege wie ein halb
freier Vogel aus in die Gärten und Milch
Inseln und ein in die helle
stille Stube — und behalte einen sanften Herbstsonnenschein
mit
ruhigen Wünschen ohne Wolken in meiner Seele! — Und so
sol es
bis in den Oktober bleiben, nur daß ich mich mit
neuen Reisen unter
breche. Sage der Brüningk einen Grus, der so herzlich ist wie eine
gute Nacht, die ich ihr im Kabinette gebe. — Und dir und
allen
Deinigen auch einen solchen!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_99.html)