Von Jean Paul an Emanuel. Hof, 11. Juli 1795.
Brieftext
Mein lieber Emanuel,
Seit dem längsten Tage hab’ ich Bayreuth und meine
schönsten
Tage verlassen — und eben so lange hör’ und seh’ ich nichts
mehr von
meinen Freunden: sind sie denn Nachtigallen, die auch
nach Johannis
verstummen? — Gleichwol, je mehr in Bayreuth mir alle Minuten zu
Rosetten und alle Stunden zu Brillanten ausgeschliffen waren,
— oder
vielmehr eben darum —, desto mehr stelten sich abends
alle Bilder des
entrükten Hofs wie aufgerichtete
Gräber-Bildnisse um mich herum
und gerade die Trunkenheit machte mich durstig nach dem
hiesigen
Freuden-Spizglas und die Freude erzeugte das
Heimweh.
Es ist sonderbar, daß der Mensch gerade in der Freude — in der
Jugend — in der schönsten Gegend — in der schönsten Jahrszeit mehr
zur Schwärmerei der Sehnsucht, zum Blicke jenseits der Welt,
zum
Gemälde des Todes fähig ist als im
entgegengesezten Fal, in der Noth,
im Alter, in Grönland, im
Winter. Daher werden die bessern Menschen
nur durch das Glük demüthig, from, weich und sehnsüchtig nach
dem
höhern Glük: — das Unglük macht sie fest, trozig, hart
und vol
irdischer Plane; bei den schlimmern ists gerade
umgekehrt. Nach einem
Lobe ist man zur Bescheidenheit
geneigt; dem Tadel bäumt man sich mit
Stolz entgegen. Kurz die
Freudenthräne ist eine Perle vom ersten,
und die Trauerthräne vom zweiten
Wasser. Jeden Bal fang’ ich mit
Lustigkeit an und beschliess’
ihn mit Schwermuth — das lange Um
tönen,
das lange Vorübertanzen, der Sternenhimmel nach Mitter
nacht weichen so zu sagen das Herz wie einen Melonenkern in
süssen
Tropfen auf und machen es quellen — und die
Trauerweide ist der
erste Schösling dieses Samens.....
Ich bitte Sie, Lieber, um eine frühe Zeile: ich sehne mich darnach. —
Die schöne Stunde rükt immer näher, wo Sie, nicht erst 6
Meilen
von hier, in freundschaftliche Arme fallen.
—
Renate, die sich kindlich darauf freuet, schikt ihren alten Grus mit.
Ich sehe sie oft und erquicke mich am Schauspiele ihrer
erfülten
Wünsche, ihres häuslichen Fleisses und ihrer
verbesserten Lage und —
Seele. Die übrigen Otto gewinnen sie
immer lieber. Wenn ihre
Kräfte und Tugenden die Bedingungen unserer Wünsche
sind: so
werden diese alle erfült.
Endigen Sie die Hundsposttage früher als die Kalenderhundstage?
— Wenn mir Schäfer und Elrodt nicht sogleich antworten:
so
schreiben Sie mir etwas von beiden.
Und nun trenn’ ich mich wieder von Ihrem Bilde, wiewol ich es
immer, nur mit gröbern erdigtern Farben, über dem Fortepiano
Renatens hängen sehe; und ich wünsche, daß ein schwacher Wieder
schein meiner Liebe, meiner Wünsche und
Wärme für Sie auf dieses
Blat gefallen sei. Sie bleiben mein
und ich
Freund
Richter.
Grüssen Sie auch unsern mit frohen Flügeln über die Eksteine des
Lebens wegflatternden Uhlfelder, der gerade den algemeinen
Fehler der
jüdischen Nazion nicht hat: die feige Kleinlichkeit. —
Hätt’ er von
Rousseau’s Confessions die
neuesten und lezten Theile: ich bät’ ihn
darum.
d. 13 Jul. Eben bekam ich einen angenehmen Brief von Elrodt:
sagen Sie ihm meinen Dank und Grus und mein Versprechen
einer
baldigen Antwort
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_139.html)