Von Jean Paul an Gottfried Andreas Schäfer. Hof, 11. Juli 1795.
Brieftext
Theuerster Freund
Mir ist immer, als hätt’ ich mir vorzuwerfen, daß ich meinen
Gesinnungen gegen Sie durch mein flüchtiges Vorüberschweifen,
sogar durch mein Entweichen ohne Abschied, ein falsches schräges
Licht gegeben — Wenn Sie dasselbe denken: so bitt’ ich Sie,
dieses
Licht der Reflexion der fürstlichen Krone
zuzuschreiben, der Fürstin,
deren Zepter immer wie das Schwert bei Vermählungen
durch Ge
sandte, sich zwischen unsere
Zusammenkünfte legte.
Ich bin froh, daß die Alexanderin — die ich im Ganzen ich weis
kaum warum liebhabe — Ihnen wieder aus der Sonne getreten
ist,
die sie Ihnen, wenn Sie sich diogenisch sonnen wolten,
bis auf die
lezten Stralen verbauete.
Vielleicht giebt Ihnen jezt der Himmel eine Minute, und Ihr gutes
Herz einen Entschlus, mir zu schreiben und mir meine Furcht
zu
nehmen
Ihre Konzilien-Akten der Illuminanden hab’ ich fast durch, aber
mit dem alten Schmerze, daß nur das Laster in Compagnie und die
Tugend blos auf eigne
Rechnung handelt. Der empörendsten Gräuel —
z. B. der
Seeräuberei, des Krieg[s] — erdreisteten
sich nie Individuen,
nur Völker. Aber die Tugend hatte nie mehr
— wenn ich den pythago
räischen Bund ausnehme — als zwei
Hände. Wenn ich an den
Enthusiasmus denke, in den mich das
royalistische Vivat eines be
trunknen Volks oder das klatschende
Applaudieren eines Parterre
zuweilen sezte: so fühl’ ich, wie
leicht alle Aufopferungen — die
eines
Leonidas, eines Kato, eines Generals — unter und vor der
Menge sind, kurz wie leicht das
Gute ist unter Guten, und wie —
verdienstloser eben deswegen. Es ist zehnmal schwerer, blos
im
eignen Hause, das man beherschen kan, gut zu handeln als
vor einer
ganzen Republik, die uns beherscht.
Das Illuminatensystem zerfiel durch zuviel Kleinliches, Eigen
süchtiges, Jugendliches — sie hatten nur
einen guten Man an der
Spizze, aber ein grosser hätte sie
gerettet.
Schreiben Sie mir: Leben, Thaten und Meinungen oder vielmehr
lezte Stunden der (fürstlichen) Mutter und ihres Sohnes. Die Weiber,
zumal gekrönte, sind nicht wie Männer à
jour gefasset, sondern wie
andere Demanten in
Folien: folglich möcht ich mehr wissen von ihr.
Ach wenn Ihnen das Schiksal ein Flugwerk ansezte, das Sie in
Emanuels Geselschaft in die Gassen Hofs hereintrüge? —
Ich danke Ihnen nochmals für Ihre zu uneigennüzige Trans
substanziazion meines Silbers in Gold; und bitte Sie mir es
zu
schreiben, wenn mein Silber nicht richtig gezählet
war.
Leben Sie wol. Zum Lohne Ihrer Güte würd ich Ihnen Ihre —
Gemahlin wünschen, wenn Sie sie nicht schon hätten. Der Himmel
belohne jene durch Ihr Glük, und Sie durch ihres und mache
zum
Zuschauer von beiden Ihren
J. P. F. Richter.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_138.html)