Von Jean Paul an Christian Otto. Bayreuth, 15. Mai 1796 bis 16. Mai 1796.
Brieftext
um 12 Uhr Mittags.
Ich logiere doch in der Sonne neben oder über der Reichsritter
schaft; und der Teufel führte gestern
den zweiten immer herüber zu
mir, H. Carner. „Jura, sagt’ er, giebt euch der König so viel ihr
wolt, aber nur kein Geld.“ Er ärgerte sich, daß man ihm das
Protokol
anstat versprochnermassen abends zuzusenden,
mittags zufertigte —
indem man 8 oder 10 Kanzellisten auf
einmal daran schreiben lies —
um ihm seine Diäten zu
beschneiden.
Die 2 andern Griechen haben die Konzession glüklich heraus
gebracht; — um die Kaufleute nicht
hintan zu sezen, sollen ihnen eben
so gut wie ihren Gegnern
gute Konzessionen (für ein Weniges)
nächstens bewilligt
werden.
Anlangend die schöne Klotilde, so ist alles prächtig und so:
Sie fuhr mir Donnerstags bis Bernek entgegen und schikte, da
es nichts war, einen noch unerbrochen in Hof liegenden Brief. Son
abends früh war nach meiner Ankunft
mein erster Grif nach einer
Feder, um mich auf 5 Uhr selber
vorzuladen. Sie sandte mir sogleich
durch den Bedienten ein
Billet, worin sie meinen Stundenzeiger um
2 Stunden
zurükdrehte: „wir wollen alle beide um 3 Uhr durch die
Eremitage fahren.“ — Ich trabte denn ins untere Stokwerk
des
Reizenst[einischen] Hauses und trat
durch zwei schöne Zimmer ins
dritte, wo sie neben 2
Nachtigallen und neben dem halb verhangnen
und überblümten
Fenster sas. Ich sage dir, könt’ ich sie schildern, so
hättest du einen ganzen neuen weiblichen Karakter im Kopf
oder gar
im Herzen. Sie hat eine majestätische Länge —
meine fast — 27 Jahre
— eine weder gebogne noch gerade
sondern wellenhafte Nase — einen
halb übers Gesicht
zergangenen Wiederschein der Morgenröthe und
nichts als
Schönheiten auf dem Gesicht, dem blos ein wenig das
weibliche Oval abgeht — die schönste veredelte Berliner Aussprache —
Blos im Anfange schien sie mir mit dem Kopf und Rest
ungefähr
8 oder 9½ Bewegungen (ich kan in der Zahl
irren) zuviel zu machen,
anstat daß die Pütnerin in
Wirsberg 8000 etc. zuviel macht. Ihre
Stuhl- und Fensterreden waren vol Menschenliebe,
Festigkeit, Sanft
muth — sie
duzet sich gott weis mit welcher Prinzessin und war an
etc.
etc. etc. Hofe, also ist sie gerade so bestimt und leicht und ungeniert,
nur talentvoller und herzlicher als die
wien[er] Fürstin. Du soltest sie
gehen sehen. Sie hatte meine Loge
ungebunden vor sich liegen und
klagte über den zögernden Buchbinder und zugleich gebunden
aus der
Lesegeselschaft und gab mir gleich die 10
Seit[e] des ersten Theils zum
Beurtheilen oder Verurtheilen vor — Und die Teufels
Papiere, über
die sie mich fragte, ob es wahr wäre daß ich sie etc.
— (du siehst, ich
erzähle nicht gar so fliessend als das
Papier ist, das ich in der Eile
nahm, um sie so lange zu
beschreiben bis ich aufstehe und bei ihr
esse) Dan fuhren
wir ab und unterwegs solt’ ich aufrichtige Antworten
über
die Wahrheit oder Unwahrheit meiner Biographien geben, die,
wie sie hörte, meistens wahre Geschichten wären.
Jezt seh’ ich erst das Tolle, von jeder Minute eine Biographie an
zufangen: in Hof wil ich dir Bände
geben stat Zeilen. Nur kurz:
Sonabends as ich dort und machte mich schon um 11 Uhr —
der
Man war nur eine Stunde zum Essen da — zum
Hause hinaus. Ich
solte bei Elrodt gestern zu Mittag essen — aber ich as
wieder bei ihr —
fuhr nachmittags mit ihrem Man nach der Eremitage und mit
einem
Professor extraord. ihres Kindes,
Wagner denk ich, der ein pädagog.
regierender Herr bei Schönfeld gewesen. Aber nachher wagt’
ich einen
andern Ausflug wovon ich erst abends gegen 11⅕ Uhr
zurükkam, ich
gieng zur Frau von Kropf. Ich bringe jeden
Abend eine doppelte
Achtung für sie zurük. Sie macht hier
das — närrisch so genante beste
Haus mit und giebt Essen
von 20 bis oft 60 Couverts. Ihr Man ist
ein gutmüthiger Pommer: sie sagt, sie sei ohne Liebe in
der Ehe, doch
durch die Achtung für ihn glüklich. — Sie hat ein
Kometenhaar oder
eine ordentliche Haarschleppe, das Ramler,
der ihr den übersezten
Horaz dedizieren wolte, wiziger als andere Dinge besungen.
Übers
Haar und alles ein Mehreres. Ich schreibe jezt in der
grösten Morgen
frühe, um es meinem
Bruder mitzugeben: denn nun hab ich von
heute bis Morgen (Mitwochs geh’ ich, der Post
wegen) nicht so viel
Zeit, daß
[ich] ans Fenster treten darf, wenn
die Wachparade vorüber
trommelt. Heute
ist sie in Kulmbach und also meine goldne Panster
kette zerfeilt; aber morgen lauf ich
wieder mit dem nachschleifenden
Stük zu ihr. Bei ihr sind
alle Meublen neuer und schöner als ich sie je
gesehen — sogar ihre 2 Nachtigallen thun zumal wenn sie selber singt,
Schläge darein, die einen
[!] das Herz aus der Brust ziehen
wollen.
Mein Bruder treibt verdamt. — Wenn ich wieder
hieher komme, so
must du mit zu ihr, weil sie so wil. — Hier kanst du dich
in der ganzen
warmen Quelle des Frühlings baden und es
blühet, mich aus
genommen, alles. Mögest
du auch Hesperus Pfingsten haben. Lebe
wol — grüsse von mir alles was dich grüsset — und nim mir
diese
elende Art, mein Versprechen zu halten, nicht
übel.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_314.html)