Von Jean Paul an Caroline Liebmann. Hof, 11. November 94.
Brieftext
Obgleich alles in meinem Innern auseinander rinnen wil: so wil
ich mich doch erheben und allein aufrichtig sein, um nicht
ohne mein
Wissen ungerecht zu sein. Sie haben mir einen
himlischen Abend wie
mit meinem Blute ausgestrichen und
gestern dacht ich sogar: deine
Freude des künftigen Frühlings
hast du auch verloren. Als ich so
abgerissen dort sas und
verglühte und als die Töne an mir nagten und
mir das Herz
zerdrükten zum Weinen — als die Töne zu den mit Erde
bedekten
Stimmen meiner verstorbenen Freunde wurden, die noch
einmal den anredeten, der allein an einem öden Ufer
ihnen nachsieht
über das Todten Meer: da begrif ich freilich
die Lustigkeit und die
troknen Augen der andern nicht. Und da
Sie noch mit Ihrer alten
durch keine Rüksichten gestern
nöthigen Kälte neben mir waren — und
da ich meine Gefühle gegen
Ihre, meine mich zerreibende Wärme
gegen Ihre Abneigung
schon vor dem Anblik berechnete — da ich sah,
wie Sie mich und
alle meine schönen Abende den elenden Auslegungen
anderer
aufopfern und wie die heftigste Trauer eines zu weichen
Herzens von Ihrem nicht einmal durch ein sanftes Zeichen des An
theils
erwiedert wird — wie Sie oft mit einer Art, auf die Sie es gegen
keinen andern thun, meine Anerbietungen oder auch die Bitte um
Ge
hör zurükwerfen — wie Sie oft gerade
um den von Ihnen Gekränkten
desto lustiger sind — und da ich
dachte, was meine Seele verdiente,
die Sie noch nicht halb
kennen: so that mir alles zu wehe wie jezt da
ichs beschreibe,
und ich sagte zu mir: „vergeh’ nur vergeblich für
mich,
schöner Abend — ich verliere doch bald alles.“ Ich zwang und ver
stelte mich, obgleich die Wärme oft in meiner schlaffen Hand
krampfte
und zukte. Ich wurde immer unfähiger, aus der
nagenden Verstellung
zu kommen und kämpfte bald mit dem
Gedanken, der vol Thränen ist:
„ach wenn sie es nicht verdiente, deinen Argwohn“ bald mit dem Ge
danken der vol Schmerzen ist: du wirst sie
verlieren. O da ist mir als
wenn ich Hof abschütteln möchte wie
ein ErdenLeben, um nur den
innern Frieden zu gewinnen — Und in diesen verdunkelnden
Stürmen
werd ich auch einen Entschlus fassen, den ich werde
bereuen aber nicht
ändern können. Warlich — meine ganze Seele
enthült sich vor Ihnen
wie vor Gott — ich hab oft den
tollen Gedanken, in Ihrem Hause mir
durch ein Wort, das nicht
vergeben, oder durch einen Eid, der nicht ge
brochen werden kan, die Zurükkehr selber zu versperren. — Ach du Gute,
wenn ich deine müde Seele martere so vergieb mirs — ich lieb
dich zu
sehr, Gute Gute.
Ich hab es wieder überlesen und solt’ es kaum schicken. Meine Ge
heimnisse sollen nicht dem Zufal blosstehen, daher geben Sie
mir das
Blat nach 8 Tagen wieder zurük: Ihnen bleibts
ewig. Wenn auch auf
dieses wieder Stilschweigen Ihre Antwort
ist: so ists keine gerechte.
Aber da ich das nicht fürchte: so
wil ich meinen Bruder um 5 Uhr mit
dem Reiszeug schicken, damit Sie ihm ein Blätgen als einen
Wieder
schein einer künftigen ruhigern
Zeit mitgeben.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_42.html)