Von Jean Paul an Barbara Juliane Freifrau von Krüdener. Hof, 19. Oktober 1796.
Brieftext
Die Erinnerung ist die 2te Welt der Freude, der
Harmonikanachklang
unsers vertönenden Lebens. Die lezten
Stunden werden von allen
meinen jezigen nachgespiegelt. Die
Schweiz entzieht meinem Gefühl
mehr als sie ungesehen ihm bisher gab — denn sie nimt
mir Sie.
Ein Monat um den andern wird mein Sehnen mehren und
keiner wird
es stillen. Die hohe Natur wird Sie mit den
Pharusthürmen der
Gletscher und mit den unbelebten Titanen der
Alpen umfassen und ver
hüllen — und ich werde von Ihrer vollen
Seele nichts haben als die
Hülle ihrer Hülle — einen
Farben Wiederschein, Ihr Bild. — Wo ich
die schönen Augen, aus
denen schon so viele bittere und frohe Thränen
flossen, vor
meinen habe und wo ich in sie, obwohl in gemalte und ihrer
h.
Seele beraubte, versinke — das Portrait, den Schatten, den Sie im
Entfliehen werfen. Briefe
[sind] Silhouetten der Seele. Ich hänge
von
der Göttin des Glüks und einer noch schönern ab.
Ich bitte Sie gleich
stark um einen Brief und um
e[inen]
französ[ischen]. Ihre Locke würd’
ich nicht wie
Bereni[zens] ihre in den Himmel
versezen: denn sie ist mir
einer — Und du, Schiksal, nim ihrem Herzen, in dem eben so
viele
Tugenden als Schmerzen sind, nichts mehr, ausgenommen
die leztern.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_437.html)