Von Jean Paul an Barbara Juliane Freifrau von Krüdener. Hof, 3. September 1796.

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Brieftext

Kopie
[ Hof, 3. Sept. 1796 ]

Wie ein Perlenbach rint die Rede klar und ohne Wellen aus Ihrem
sanften Herzen und die Thränen, die die Vorsehung hineingeworfen,
schimmern darin in liegende Perlen verwandelt. Die glänzende
Stunde wird noch weit ihren Wiederschein werfen, auf manche
Stunde. Ich wohne unter Eisbergen und Eisthälern, darum hab’
ich eine schöne Vergangenheit so lieb — wenn die warme Sonne
längst über meine Gletscher hinuntergezogen ist, so glimt an diesen der
durchsichtige Purpur der bedekten Göttin nach. Sie schreiben nicht wie
eine Deutsche sondern wie ein Deutscher, nämlich besser als jene. Sie
haben in den Strom meines kleinen Lebens eine glükliche Insel ge
worfen, lassen Sie sie nicht fortschwimmen, halten Sie sie an, wenig
stens einen Abend. Geben Sie mir wie Milton der Welt, ausser dem
verlornen Paradiese noch das wiedererworbne. Anstat daß sich in
Leipzig die Menschen und die Tagszeiten wie kaltes Gemäuer zwischen
unsre heissen Seelen schöben und die Sonne des Enthusiasmus in
kleinere kältere Sterne zersplitt[erte]: so würde hier ein einziger un
getrenter Tag die Einheit eines wachsenden wolkenlosen warmen
Freudenhimmels geben. Sie würden mich vor die Landschaft Ihres
halb mit Sonnenschein halb mit Wolkenschatten bedekten Lebens
führen. — Blos wenn die höchste Flamme der Menschenliebe unser
schwüles Herz bewegt, da hört das quälende Alpdrücken des Lebens
auf, wie das andre Alpdrücken vergeht, wenn man ein Glied geregt. —
Wenn Sie nur vorüberfliegen, nicht vorübergehen vor dem, der diese
papierne Kette um Sie wie die Alten andre um ihre Götter legen wil.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

K: Krüdner 3 Sept. 96. i 1: Wahrheit 5,171. i 2: Denkw. 3,12. B:IV. Abt. II, Nr. 135. A: IV. Abt., II, Nr. 139.

240,24 f. Frau von Krüdener, die gewohnt war, französisch zu schreiben,entschuldigt sich in B wegen ihrer unvollkommenen Sprache. 29ff. Siehatte gehofft, Jean Paul in Leipzig zu sehen.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_397.html)