Von Jean Paul an Caroline Liebmann. Hof, 2. Februar 1797.
Brieftext
Wie das Sehen (das ist das Erwarten der Person) das Schreiben
verschönert, so noch mehr das Schreiben das Sehen. — Ihre
aus
elysischen Träumen zusammengesezte Seele verliert sich
in ein Idyllen
leben, zu dem es auf der
Erde keinen Boden und kein Beispiel giebt —
Ich wil es malen,
wie sich der Wochentag und die Altäglichkeit um Sie
verklärt —
wie Sie sich fragen: die Zeit kehrt nie um, die vorigen Jahre
liegen begraben und einige Freuden und viele Thränen und die
Ver
gangenheit war ein Traum etc. Und
wenn ichs nicht sage, so wil ichs
doch denken: trokne dein
liebes Auge ab, du theuere Gestalt. Bist du
nicht so sehr
geliebt? Auch ich bin dein Freund und bleibe dein Freund
und
was uns äusserlich trent, bindet uns innerlich und wenn ich dich
nach langen Jahren aus weiten Entfernungen zurükgeworfen
wieder
sähe, so würd’ ich sagen: kom an mein
[Herz], denn du bist darin. Für
mich gäb’ es keinen schönern Tag als den, wo ich jeden Ris,
den das
Schiksal in dein Herz gegraben, zugeschlossen sähe.
Der Tag wird
kommen und mein bewegtes Herz wird dir Glük
wünschen; aber meine
Lippe wird es nicht können und wird sich
nicht bewegen — deine Seele
ist in meiner, meine ist in deiner
... Wenn dein Jahr um die spielende
Erde herumgeflattert ist,
mögest du sagen: wir haben uns oft verkant
und nie vergessen
und mein Freund ist noch bei mir. Ja ich bleibe der
deinige. Ich liebe dich herzlich und wenn ich dich morgen wieder sehe,
werd’ ich nichts denken als ich liebe dich herzlich.
— Den Funken dieses Feuers durch Kritik zerdrücken.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_519.html)