Von Jean Paul an Caroline Herder. Hof, 31. Juli 97.
Brieftext
Ich wünschte, ich hätte keine Entschuldigung für mein Schweigen,
Unvergesliche! — Meine Mutter gieng, nach den langen Qualen
der
Wassersucht, bleich von mir und ich sehe sie hienieden nicht
mehr. —
Ihre Krankheit verschob meine Reisen, deren eine mich mit
mündlichen Danksagungen in Ihr Haus geführet hätte. Mein Herz
hat sie bisher desto öfter wiederholet für solche Gaben und solche
Briefe. Mein gelehrtes Deutschland wird, indem sich das
Pan
dämonium immer ausdehnt, aus einem
Pantheon täglich mehr zu
einem Monotheon. Ich weis keine andere Gedichte, die für
mich
jezt jene ächte, und eine ganze sprechende Geisterwelt des
Ideals
vorrufende Musik des Herzens
sind, als die, die — Sie mir
schikten: Göthe dichtete früher
so; aber nun liebt er den Stof nirgends
mehr als an seinem Leibe und quälet uns mit seinen
ausgetrokneten
Weisen à la
grec. Ich hoff’ es irgendwo einmal darzuthun, daß wir
das maximum in den bildenden und
zeichnenden Künsten, das erreich
bar ist
sogar von Einem Volk und von Wenigen, mit dem maximum
der Dichtkunst vermengen, das die Kentnisse und die
Jahrhunderte
erhöhen und erschweren müssen. Eine Apollos
Gestalt ist für die Erde
volendet; aber kein Gedicht kan es sein, da unsere mit
den Jahr
hunderten wachsende Rezeptivität
wenigstens an den Stof höhere
Foderungen macht: unsere Augen
bleiben für die Statuen, aber unsere
Geister wachsen höhern
Gedichten entgegen. Nur den reinen un
gebrochnen Umris und die Humanität und die Verhältnisse haben wir
den Griechen abzulernen, aber des dürftigen Stofs solte sich
das
reiche Jahrhundert schämen. —
Ihre Vergleichung mit dem Münsterthurm führt den Honig und den
Bienenstachel bei sich: schöner kan man nicht auf einmal
loben und
tadeln; wahrer vielleicht. —
Gleim dem Deutschen kan ich mein Gesicht nicht schicken, weil
der einzige Maler hier — keiner ist, und weil ein Surrogat
des
Gesichts, nämlich ein von Pfenninger auf Lavaters
Empfehlung
gemachter Nachdruk auf einer Kupferplatte überal zu haben
ist. —
Das gute Geschik wende den Schmerz von mir ab, daß ich nach
Weimar käme, wenn Sie schon in Halberstadt wären: es würde mir
— um nicht zu ernsthaft zu sprechen — so sein wie einem
Astronomen,
der nach Amerika gereiset wäre, den Durchgang
des Hesperus durch die
Sonne zu schauen und dem eine stehende traurige Wolke die
Sonne
nähme. — Wenigstens lassen Sie mir durch Fr.
v. Kalb die Zeit Ihrer
Abwesenheit berichten.
Hof vertausch’ ich in einem Vierteljahre, aber ich weis
nicht gegen
welche Stadt — die, welche ich so herzlich gerne wählte, wird
mir von
denen widerrathen, die sie gewählet haben.
Leben Sie froh, Wunderbare! Das Schiksal geb’ Ihnen so viel
als
die Natur Ihnen gegeben, und dan
ists genug!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_673.html)