Von Jean Paul an Christian Otto. Hof, 13. August 97.
Brieftext
Eben komm’ ich von meiner erhobenen und erhebenden Emilie
(v. Berlepsch) zurük und öfne leider deinen Brief später als
den von
Wernlein, der aussieht als wär’ er vor 5 Jahren
<Wochen> in Hofek
oder Hirschberg geschrieben oder drunten und der mir
nebst einigen
andern Zügen Hof um 2 Monate zu baldKurz, in dem November, dem brittischen Ersäufungsmonat, ist mein Abreise
monat nach Leipzig.
verleidete.
Die Fülle macht mich wenigstens schriftlich stum: 1000 Dinge hab
ich dir zu sagen, wie du mir. Aber meine Universalhistorie in Franzen
bad und meine darein gewebten Entzückungen
brauchen dein Ohr,
nicht dein Auge: ach endlich fand
ich die erste weibliche Seele, die ich
ohne Ecken und Widersprüche genos und die mich und die ich
besserte
— es ist diese Emilie v. Berlepsch. Sie ist zu
edel und volendet, um
mit Dinte gelobt zu werden.
Deine Freuden sind nothwendig und natürlich; aber nicht deine
Klagen. In deinem Briefe misfiel mir deine Empfindung gegen
die
Kropf; nicht als Urtheil sondern als Wirkung: die
Eitelkeit zieht
durch 2 oder 4 Poren in deinen Busen ein; — und sobald ich
sie aus
meinem vertrieben habe, wil ich deine rügen. Den Anlas
dieses Tadels
hast du weniger jezt gegeben als verdoppelt: dir kan ich nichts ver-
geben, beinahe eher mir.
Über deinen ersten Brief wolt ich dir viel schreiben, über alle meine
Schmerzen — über alle Stacheln, womit das Geschik mein Herz
durch
stochen hat — über die
dramatische Pein, die ich vorausgesehen —
über meine Klage
ohne Trost, daß meine Mutter nichts, nichts, nichts
auf der Erde gehabt und daß ich ihr so wenig gegeben und über mein
Erstarren über das
Buch worin sie aufschrieb, wie viel sie sonst von
Monat zu
Monat gesponnen. — Wenn ich alle Bücher der Erde weg
werfe, so les’ ich doch gute Mutter deines fort, worin alle
Qualen deiner
Nächte stehen und worin ich dich in der
Mitternacht mit der keuchenden
stechenden Brust den
Faden deines kargen Lebens ziehen sehe. Ich habe
sie 1
Vierteljahr vor ihrem Tode betrauert — aber doch jezt thut
es
meiner Seele zu weh, daß sie hier nichts hatte als ein
sieches Herz vol
Thränen. Ach! du warst glüklicher! — Ich wil
dir meine Stunden
nach dem Ende der ihrigen erzählen wenn ich einmal kan. Am
Morgen
wo ich gieng nahm sie Abschied und dankte mir für
alles und war
besorgt daß ich mich vom Boten verliere. Als ich
wiederkam hatte
die rauhe Hand des Todes, ungleich der Hand der
Vorsehung, alle
Leiden und alle Jahre auf dem blassen Angesicht
ausgestrichen und sie
war verjüngt und beruhigt. Ach wem
wil ich etwas erzählen, da ichs
nicht einmal schriftlich
beschreiben kan? Lebe wohl! Und alles Sanfte
und Gute und
Liebevolle komme an unsern Freund Emanuel! —
Die Striche in Oertels Brief sind für dich keine, du liesest
alles.
Montags. Ich finde jezt meinen Brief von einem schlimmern Ein
bläser diktiert als der ist, der mich nach
Hof begleitete. Dieser Soufleur
sperte mich gestern ein. — Vergieb manches Harte. Im Bade
war
keine Minute zum Schreiben übrig; und solche Briefe wie der
gegen
wärtige solt ich auch ausser dem
Bade nicht schreiben. Ich glaube,
Emanuel hatte wie du noch keine frohere Zeit als diese.
Deine
Dichtung ist schön. — Beigang hab’ ich aus mehr als
einer Ursache das
Lesen aufgesagt: du kanst es künftig durch meine eigenhändige
Aus
wahl bei ihm, besser fortsezen. —
Lasse doch Lübek fragen, wie weit die
2. Auflage des Fixleins ist. Lebe wohl! Ich habe im Bade
viele Be
kante gemacht, viel Ehre, Lust und
Gesundheit empfangen: denn ich
gieng mit zerstörtem
Magen hin. Mein Brief ist ein wahrer Frauen
zimmerbrief etc.
Vielleicht komm ich in 14 Tagen nach Bayreuth: denn die Berlepsch
geht erst in 8 Tagen hier durch.
Gieb Emanuel was du für gut hältst: alle neuen Briefe hab
ich dir
nicht geschikt.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_679.html)