Von Jean Paul an Emilie Dorothea Friederike Harmes. Hof, 2. Oktober 97 bis 4. Oktober 97.
Brieftext
Den 30ten Sept. bekam ich Ihren Brief, gute Emilie. Ich
bin
unschuldig, Emilie — ich glaubte nichts zu sagen als
was ich schon
mündlich gesagt — ich liebe Ihre (möcht’ ich
sagen) metrische Seele
unbeschreiblich und ewig — und wie
kan ich dem guten Auge, dem
ohnehin die Vergangenheit den
Himmel so trübe bezogen, selber
irgend eine blaue
Stelle habe[n] nehmen wollen? Ich war in
diesen
paar Tagen oft bei Ihnen im Park und zerris mein
Herz mit jedem
Seufzer, der stat des Blutes aus Ihrem wunden gieng. O
Gute,
kennen Sie mich denn aus meinen Büchern und
Gesprächen noch so
wenig, daß Sie ihnen weniger glauben als
irgend einer verunglükten
Brief-Wendung? Must’ ich
nicht glauben, daß Sie dieselben Aeusse
rungen, die Sie mit den Ohren vertrugen, auch mit den Augen ver
gäben? Oder ist irgend eine Wolke
zwischen uns, die mich verbirgt und
dafür eine feindliche
Gestalt hinmalt? Ich sehe Ihre geliebte durch die
Wolke
und liebe Sie nach Ihrem Briefe noch wärmer; aber ich
werde
nicht gesehen: und nunmehr, da ein unbegreifliches Mis
verständnis uns verwundet, so schweig’ ich bis wir uns
sprechen über
alles aus Furcht vor einem neuen, da ein
briefliches sich leider erst
durch die lange Post und nicht
wie das mündliche durch Einen Blik
auflöset.
— Fischer und seine Frau — eine Gräfin v. Reichenbach — kamen
aus Jena nach Hof zu mir, sahen aber (ich war noch in Bayreuth)
nichts von mir als meine litterarische Farbenhütte und
nahmen
2 Federn und 3 Blüten daraus mit. Otto hat mir die Frau sehr
gelobt.
Ihre Schilderung von Weimar erinnert mich an meinen alten
drückenden Gedanken: daß die aller-aller-wenigsten
Menschen einen
Lebensplan, obwohl Wochen-, Jahrs-, Jugend-,
Geschäftsplane
haben. Die Menschen sind auf ihrem Wege
ohne Ziel und der Zufal,
die Noth und die Begierde
drängen sie an eines, und das nehmen sie für
ihres:
Goldstücke und Ehrenmedaillen ziehen den Menschen am
längsten im Leben nieder und so stirbt der äussere, ohne daß der innere
je flog. Die Dumpfheit der menschlichen Wünsche — die
Gleich
gültigkeit gegen innere
Einigkeit — die halb ungleiche halb zu
fällige
Ausbildung der innern Glieder, deren eine Hälfte einem
Riesen und deren andere einem Zwerge anpasset — diese Dinge
können mich, wenn ich sie lange betrachte, nicht blos
traurig, sogar
zaghaft machen. Auf die Kirchhöfe der ganzen
Erde solte man die
algemeine Grabschrift sezen: hier liegen
die Wesen, die sonst nicht
wusten was sie haben
wolten.
Ich lies den Brief bis heute liegen, weil ich Ihnen erst heute die
völlige Gewisheit schreiben konte, daß ich endlich ein
Logis im
blauen Engel in der Leipziger Petersstrasse habe:
meine Abreise im
November ist fest.
Solt’ ich Ihnen aus Hof nicht mehr antworten — wozu
mich
Erbschafts-, Ordnungs-, Reise- und Abschiedsplagen leicht
zwingen
könten — so sezen Sie nur auf Ihren zweiten Brief „abzugeben bei
Buchhändler Beygang“.
Leben Sie glüklicher als Ihr lezter Brief beweiset! Sie wissen nicht,
wie ich Sie liebe. Der Abschied von allen lieblichen
Verhältnissen
hier giebt mir viele Wunden mit nach
Leipzig: mög’ ich dort in Ihrem
schönen Herzen kleinere finden!
N. S. Ich habe Ihnen noch nicht gesagt, welche ungemein schöne
Stellen ich in Ihren Briefen, zumal im vorlezten
finde.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_707.html)