Von Jean Paul an Christian Otto. Hof, 18. März 1795.
Brieftext
Lieber Christian
Hier ist das zu lange Reisejournal Fälbels; und zugleich dein
Exorzismus dabei, der vor einigen Jahren Teufel aus mir jagte,
von
denen ich mich nur wundere, daß sie mich besessen haben.
Meine jezige
Umarbeitung ist blos eine Rechtfertigung deines
Tadels — und den
Anlas zum leztern, die erste Ausgabe, hab ich
wiewol mit vieler
Schamröthe auch beigelegt. — So ist
der Mensch: nur ist das unser
Seelenkrebs, daß wir eben aus den
Veränderungen, die wir schon mit
uns haben treffen müssen,
nichts schliessen als das daß wir um so
weniger — neue
brauchen. Kurz unsere Veränderlichkeit ist uns das
Pfand
unserer Unveränderlichkeit.
Deinem Briefe über Fixlein werd’ ich als einer Kritik blos mit
Veränderungen antworten, wiewol ich nicht überal deine
Meinung
(oder vielmehr blos deine Schlüsse daraus) adoptieren
oder vielmehr
(was die Hauptursache ist) realisieren kan. Aber
er ist noch etwas
höhers: ich wolte, ich übergäbe sogleich den
ersten Eindruk — der bei
mir allezeit gegen den 2ten wie Sonne gegen Mond, absticht bei allen
möglichen Büchern — dem Papier, damit du deine Freude an
meiner
hättest. Es ist aber
ein[e] eigne Empfindung, zugleich ins
Gefühl des
eignen und fremden Werths die bittere Empfindung des
fremden
Kummers zu giessen, mit der du durch eine
resignierende Ergebung nur
desto tiefer einschneidest; —
aber ich wüste keinen Trost — nicht für
den, der es leidet,
sondern für den, der es lieset — wenn ich nicht gewis
wüste,
daß einige Menschen zu gut sind, um unglüklich zu sein — daß
sie entweder poetische, oder feinere, oder träumende Schmerzen mit der
reissenden Gicht der armen andern Menschen vermengen — daß
in
einer Seele vol Licht, vol Wärme, vol
transzendent[er] Hofnung, vol
Wahrheits-Sehnsucht nicht viel Plaz übrig bleibe für nur
Eine
Wunde — und daß der, mein Lieber, der von Haus zu Haus
geht und
immer nur Glüklichere findet,
daß du mein Guter, deine stille Zu
friedenheit eben so wenig tauschen möchtest wie deinen Werth. Irre
dich nicht durch Träume; es ist aber das Schiksal des Menschen,
daß
das innere, selbst erworbne Glük seine äussern
Foderungen anstat zu
mässigen erhöhet. Gute Nacht, mein
Christian, sag mir alles was dir
wehe thut, sobald du denkst,
daß es dir dan leichter werde.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_77.html)