Von Jean Paul an Christian Otto. Hof, 23. März 1795.
Brieftext
Was ich jezt schreibe, lieber O., ist halb eine Bitte halb eine Frage.
Ich werde dir heute abends das gestrige Verbal-Boxen drunten,
er
zählen. Drunten hängen einem nichts
als Schwerter über den Kopf und
auf Degenspizen geht man — aber
alle diese Spizen, (vom wilden
Vater und vom niedrig-neckenden
Bruder) vereinigen sich nur in Einer
Wunde: gegen
A[möne] ist alles gekehrt. Ich mag dir
nichts von ihren
bisherigen mündlichen, oder heutigen schriftlichen Klagen
schreiben,
die du alle leicht erräthst; aber da alle diese
Drückungen stündlich wachsen
und da sie wenig mehr hat als das,
was sie über der Thürschwelle
draussen
findet und da ihr auch das genommen werden sol, sobald ihre
Besuche nicht mehr durch deine erwiedert werden: so darf ich dir wol
die ganze Sache vorstellen, damit du nämlich nur Einmal hinunter
gehest. Dein Verschwinden mus sie mit Vorwürfen büssen: denn auf
eine auch nur von weitem erträgliche 〈vernünftige〉
Interpretazion
deiner Abwesenheit rechne drunten nicht. Du
kanst ja immer die
Zwischenräume deiner Besuche weiter machen.
Ich gestehe dir gern
den schwülen Gewitterdruk, den du
wenn du diese Woche hinunter
gehest, auf
dich nehmen must; aber liegt er denn auf einer andern Person
nicht noch viel schwerer? Und wilst du denn nicht mit 2 versäuerten
Stunden 2, 3 bittere Wochen von schwächern, siechenden Menschen
ab
wenden? — Du wirst doch in 3 Wochen 3
Stunden zu verlieren haben,
die du auf keine
moralischere Art verwenden kanst als zu dieser Auf
opferung? — Ich schor mich gestern den Henker um alles und
um
schlos mein Ich mit meinem Bewustsein
und lies den Alten in der Strafe
des seinigen stehen. Du kanst mir glauben, es ist mir eben so
peinlich,
mit dir hinunterzugehen, weil ich mich in dich hineinfühle;
ich thue es
aber doch gern. — Erfüllest du meine
fragende Bitte nicht: so hast du
andere Ursachen als ich
bestreite und du kanst kühn, im Vertrauen auf
meinen Glauben an
deine Berechtigung, gänzlich darüber schweigen;
du kanst mir
nichts sagen, was ich nicht vorausseze. — Verzeihs fein.
Gieb mir blos „die Magie der Phantasie“ bald, beurtheilet, zurük:
ich arbeite sie um. Gute Nacht.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_82.html)