Von Jean Paul an Christian Otto. Hof, 19. Mai 94.
Brieftext
Mein lieber Christian,
An dieses Blat denk ich allemal, so lang’ ich am Buche mache — und
doch wenn ich darüber komme, fang’ ichs wie jezt an.
Du hast ohnehin jezt viel zu lesen von mir und wohnst im Grunde
drei Wochen lang mitten in meiner Seele: ich bin also kurz. — Ich
lege dir deine kritischen Blätter bei, (aber zur Retour), damit
du sehen
kanst, daß ich dir gehorsam war nicht wie einem
Kritiker sondern wie
der Kritik selber. Nur aus Ermüdung oder
Unvermögen war ichs
1 oder 2 mal nicht. Den Apotheker
hab’ ich aus dem ersten Kapitel
herausgetrieben; aber die Razen kont’ ich und der Kaplan nicht
weg
bringen. Auch verschwinden sie jezt mehr
in die Gruppe; und ohne
sie ist gar kein Kniestük vom Pfarrer
so fertig zu machen. Horch, lass’
mir die Razen! — Übrigens ist
troz meiner Bemühung noch immer
etwas Kleinliches in den
fünf ersten Kapiteln, das ich aber lieber er
tragen wil als die Zeich[n]ungen der
Karaktere stören. Aenderungen der
Inizialzüge derselben sind
mislich, weil ich jezt mich nicht mehr in die
ersten Kapitel
denken kan, sondern den Karakter immer vorausseze. —
Leider
werden auch im zweiten Bande noch einige kleinliche Kapitel
stecken; aber im dritten oder besten Theile schliesset alles
immer fester
zusammen. — Eine einzige unnüze nicht agierende
Person wohnt im
Buche, die aber mit ihrem ganzen Haushalten nur 2 Seiten
Plaz
einnimt: ich nenne sie nicht; leidest du sie aber
nicht, so sag’ ich ihr
auf. — Einige komische Szenen nim andern Lesern nicht. — Streich’
ein unterstreichbares Wort lieber gleich aus. — Brocke manche
Szenen nicht in den Kaffee ein, sondern lies sie abgetrent. — Lies
unbeschreiblich schnel. —
Sage mir deine Rüge ohne Schonen. — Klotilde ruht wie ein
Engel mit aufgeschlagnen Flügeln vor mir, sogar mit einem
indi
viduellen ungesehenen Gesicht
und in der Fremde draussen wird sie mir
schon begegnen und ich
werde mit ihr aus der Sache sprechen. —
Weiter weis ich nichts
zu sagen als meinen vorauslaufenden Dank für
die Aufmerksamkeit,
mit der du über meine opera richtest und durch
welche du mir schon so viele mir jezt unausstehliche
Makulaturseiten
ersparet hast — Nim diese Traumwelt
deines Freundes hin als eine
Stärkung unter seinen und deinen
vergeblichen Wünschen und wir
sehen uns alle beide, bei jeder
Lektüre freudig neben einanderstehen im
Spiegel des Edeln im
Menschen.
Und so lebe recht fröhlich, du immer Lieber und Guter.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_8.html)