Von Jean Paul an Friedrich Wernlein. Hof, 26. Juni 1794.
Brieftext
Wie man Hühner einspert, damit sie besser legen: so solte man
Autores hinausjagen, damit sie es nicht thäten sondern den Eierstok
reifen liessen. Es giebt, wenn man lange über Einer Sache
brütet und
sizt, eine närrische Erschöpfung, die keine
körperliche ist, weil sie
mehrere Wochen dauert, und keine des
Gedächtnisses und der Kentnisse,
weil man über dieselbe Sache
nach wenigen Wochen ohne neues
Studium wieder besser hekt,
sondern eine aus Uebersättigung. Ich
denke, mein
lieb[es] Du! noch immer an die schönen
Blütenabende
deines Kometenschusses durch Hof und an den
lezten Morgen, der dich
in den 2 Brenpunkt deiner ellyptischen Bahn fortführte — und
an
unser stummes sinnendes Sizen neben einander im
Leichenwagen des
Abschieds — und an die eingeschlafne Natur um
uns als hätte sie die
ganze Nacht gewacht — und an den
Zirkus von Bergen um uns —
Berge sehen wie stille in der
Zukunft stehende Jahre aus und wenn
man gerührt ist — ein
weinendes Auge ruht am liebsten an Sternen
und Gebürgen
aus.
Ich weis nicht sollen unsre Episteln poetische — oder Zeitungen —
oder Disputazionen — oder Satiren sein oder — welches das
Beste
ist — alles das hinter einander. Ich wolte der
Nachsommer würde
heuer vor dem Sommer gegeben, damit ich
junger Tobias und mein
Engelein Otto bald bei dir ankämen, nicht um dich zu sehen —
denn du
bist geschrieben zu haben — sondern um des Extrahasen und
Seelen
mestizen
[?], dessen Seele auch ein blosser
Adjunkt des Körpers ist,
habhaft zu werden. —
Ad N. II. wäre viel zu sagen und Otto hätt’ es sagen sollen.
Es ist
überhaupt soviel als hätt’ er diesen Auftrit gemacht, da er ihn
stehen
lassen. Also um ihn — den Otto, nicht den Auftrit —
ein wenig zu
vertheidigen, führ’ ich an, daß ich schon etwas
angeführt, um ihn —
den Gustav, nicht den Otto — zu vertheidigen
— etc. daß Menschen, die
unfähig sind, zu verführen,
darum nicht unfähig sind, verführt zu
werden — daß seine
Empfindsamkeit, die du für den Schuzgeist seiner
Tugend hälst,
gerade die Eva Schlange derselben ist. Hier stell’ ich die
Beispiele [von]
Enthusiasten, Dichtern als eine Wagenburg um mich,
um zu
beweisen, daß die edelsten Gefühle, sobald sie zugleich die
heftigsten sind, eben weil sie mit den unedelsten dieselbe
physische
Gartenerde des Körpers theilen und zum Blühen
brauchen, sehr
leicht (wenn nicht Grundsäze hindern) in die
nachbarlichen Gewächse
des nämlichen Bodens ausarten können.
Tugenden, die eine gewisse
Disposizion des Körpers voraussezen,
sind Wand- und Thürnachbarn
ihrer Antipoden, wenn diese
von derselben Disposizion Nahrung
ziehen. — Wie eine Kokette
wie Danae die Schlinge kolorieret hatte,
womit sie einen solchen Platoniker wie Agathon an sich
schnüren können
— das hätte uns Wieland sagen sollen. — Gerade hab’ ich den
Brief
beschnitten und ein Paar Worte mit: daraus wollen wir
beide, damit
wir nur einen Nuzen haben, die Lehre
ziehen: man mus Briefe und
Menschen so beschneiden und
quadrieren, daß der Verstand nicht mit
weggeht. Aergere dich
nicht, daß ich heute dum bin: der Augustbrief sol
gleich seinem
Monat eine reiche zeitige Ernte abwerfen.
Ich kan heute kein gescheutes Wort reden, obwol mit mir eines zu
reden wäre. Der Himmel führe dich jeden Abend hinaus unter
die
moluckischen Heuschober und belege diese Blumenberge mit
der
Silberfolie des Mondes und ziehe kleine Zephyrflüsse durch
diese ge
blümten Ufer und aus diesen
Flüssen lasse er Flötentöne wie Kreise
oder Wellen aufwallen —
und so in diese Wogen und Strudeln werfe
er deine
zappelnde Seele ganz hinein, damit du einen recht hübschen
Sommerabend hast.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_9.html)