Von Jean Paul an Caroline Herder. Berlin, 9. April 1801.
Brieftext
Theuere Freundin! Empfangen Sie meinen gerührten und freu
digen Dank für die Gesinnungen, womit Sie an den
Abwesenden
glauben und ihn beglücken. Die meinigen ändert
keine Zeit und keine
Stadt. Ich bin noch immer derselbe, der
ein neues Buch von Herder
wie einen Frühling erwartet und geniesset. Ich hatte die Adrastea
schon von Büri gelesen und mich über
diesen lezten Band „der Ideen
zur Geschichte der Menschheit“ erfreuet. Der Aeon —
zumal sein
sophokles-ödipischer Tod — ist das, was Göthe’s Kasual-Aeon
sein
wolte; und so ziehen (vorn in der Vorrede) die Greife im
poetischen
Aether. Unserer von historischer Kentnis und
humanen Ansichten zu
gleich abkommenden
Zeit werden die Kentnis- und Grazienreichen
Blätter Öl-, Rosen- und Stärkungsblätter sein. Wie
schlim ständ’ es
mit mir, wenn etwas in meinem Innern wäre, was
sich nicht freund
lich mit ihnen
vertrüge!
Über Menschen ändert sich das Urtheil leichter als über Grundsäze;
also da ich über jene meines in einigen Punkten anders
mitbringe,
z. B. über den leeren unpoetischen Merkel,
der Parteisucht mit Partei
sucht bekriegt: so kan freilich Ihre obere
Tischecke, wenn ich daran
kommen darf, wieder ein
Kriegsschauplatz werden und ich bitte Sie,
sich mit mir zu
alliieren.
Eine ernstere Bitte hab’ ich jezt, nämlich die, mich den nächsten
Sontag auf eine Weimarsche
Kanzel zu bringen nach beiliegendem
Zeugnis und mir gütigst das Attestat der Proklamazion
baldund das Kosten Verzeichnis, aber unfrankiert, da es
meine eigne Sachebetrift,
zu
senden, weil man mich nach hiesigen Gesezen nicht
eher kopuliert als
bis die Möglichkeit des Einspruchs
weggenommen ist. Für Romanen
schreiber ist
ein solches Gesez nicht überflüssig.
Die Verlobung der Gräfin Schlabrendorff, die ich hier sehr
achten
lernte, ist ohne ihre Schuld zerrissen
und sie jezt in Leipzig, künftig
in Meinungen.
Die kleine Bek heirathet ein wenig zu bald nach dem ersten
Abendmal.
Die Maria Stuart gefiel hier nicht so, wie man Ihnen geschrieben,
ob man ihr gleich ein Halstuch umgethan und das Schlimste
weg
gelassen.
Die russische Gesandtin v. Krüdner, die oft bei mir ist wie
ich bei
ihr, komt im Frühling nach Weimar, blos um unsern Herder zu
sehen. — Bringen Sie dem Dichter des Aeons den Grus des
wärmsten
Herzens und allen lieben Seelen um Sie. Leben Sie froh!
Büri legt Herzens-Grüsse bei. Sein Portrait der russischen Fürstin
übertrift schon nach der poetischen Anordnung alle
seine, wie er selber
sagt. Die 2te
Auflage des Fixleins samt dem Titan und noch einem
Werklein bring’ ich Ihnen selber.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_111.html)