Von Jean Paul an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 1. September 1801.

Zum TEI/XML DokumentZur originalen Webseite

Brieftext

Bayreuth d. 1. Sept. 1801 .

Lieber Thieriot! Wo ist Ihre Feder? — Ihr Roman? — Hundert
Dinge, die Sie mir zu sagen haben? Ich size in Meiningen seelig fest
und lasse dahin adressieren. Ich fasse Ihr schnelles Schweigen nicht.
Worüber geht jezt Ihr Lebenslauf, über die Studierstube oder über
einen Hörsaal oder über die Geige? — Jezt könten Sie einmal zu mir
kommen und bei mir logieren; wir wolten sprechen, weil Sie niemand
weiter hätten.


Der Überbringer dieses, ein heller philosophischer Jude, vielleicht
der beste moralische Mensch, den ich je sah, Emanuel, mein Freund
wil Sie kennen, nicht kennen lernen. Auch sein Kopf, nicht blos sein
Herz, gehört nicht unter die Doubletten der Menschheit.

Hier weis ich nicht mehr was ich von Ihrem Briefe zu beantworten
habe. Ihr Urtheil über die Gräfin ist vortreflich und — komisch, da
Sie es ihrem ältern Bekanten schicken; ich las eine kurze Topographie
meines Zimmers, die mir der V[erfasser] sandte, damit ich mich zu
rechtfände darin. —

Meine Arbeit und Lust ist jezt der 3te zu Ostern kommende Titan,
der vol ent- und verwickelnder Geschichte ist und dessen Anhang ein
Anhängselgen wird und kaum. — J. P. hat keine frohe Ehe, sondern
die froheste; alle seine Träume reichen nun durchs helle Tagslicht, und
der Idealismus des Herzens ist ein Realismus geworden. Ich kenne
nichts bessers als das beste Weib zu haben; sogar die Poesie zieht
Zinsen davon. — Unendlich viel schreiben Sie mir, Lieber! Lesen Sie
Schleiermachers Reden über die Religion und Marias Satiren.
Adio, Carissimo!

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin Varnh. 213 (derzeit BJK). 3 S. 8°; auf der 4. S. Adr.: H. Paul Thieriot Leipzig.K (nach Nr. 184): Thieriot — J: Denkw. 1,434×. B: IV. Abt., IV, Nr. 138. A:IV. Abt., IV, Nr. 175. 100,28 Lebenslauf] Lebensplan K 101,6 zu Ostern kommende] nachtr. H

100,25 Roman: s. zu Nr. 13. 101, 2 Thieriot hatte die Gräfin Schlabrendorff in Leipzig kennengelernt. 7f. Der dritte Band des Titan erhieltkeinen Anhang. 13Satiren und poetische Spiele von Maria“(d. i. Clemens Brentano), Leipzig 1801; vgl. I. Abt., XI, 363, 13 .

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_182.html)