Von Jean Paul an Caroline Herder. Meiningen, 9. Januar 1802 bis 12. Januar 1802.

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Brieftext


Meiningen d. 9. Jenn. 1802 .

Heute, vortrefliche Freundin, wil ich blos etwas von Ihnen oder
vielmehr von Ihrem Hern Man — nämlich Ja’s, Nein’s und die
nöthigen Zahlen auf die Fragen, die beiliegend der Präsident Heim
ein treflicher Kopf und Geolog und ehrenswerther Verehrer Herders
— an diesen thut.

Ich sehne mich nach dem Frühling, um ihn zu erneuern für mich unter
Ihrem Dache. Wär’ in Weimar gesundes Bier — ich zög’ ihm nach.
Ewig blüh’ und wurzel’ ich nicht hier. Übrigens geht es uns gut unter
Guten. Der Herzog besucht uns oft, ich ihn öfter; und schlag’ es oft ab
nach alter Sitte meiner Independenzakte.

Meine Caroline sizt vol Schönheits-Blüten — ich vol Geistes
Früchte. Der 3te Titan sol sogar Ihnen gefallen, wenn Sie ihn lesen
unter Titanen — nämlich in der andern Welt, die das rechte Studier
zimmer ist wie die hiesige ein Näh- und Korrigierzimmer. — Hier
verlern’ ichs ganz, mich zu loben.

Wollen Sie H. Gerning sagen, daß ich seines v. 17ten ao 1801 heute
erst erhalten, aber jezt, da ich Wiesen zu besäen habe, schwer daran
kan, in ein Blumentöpflein ein Reis zu stecken? Den Erfurtern hab’
ich noch nicht geantwortet; werde aber doch zuweilen ein rezensierendes
Wort in der Zeitung für das Sündengeld hören lassen, das sie an
bieten.


Ich und meine Gattin sind fort-seelig und werden immer jünger,
zumal der Gatte. — Der hiesige Herzog hat durch den Erbprinzen von
Meklenburg, der bei mir war, und durch dessen Schwester in Hild-
burghausen von einer für uns beide vorsorgenden Anstalt erfahren,
die er noch verschweigt; sie erlaubt uns, überal zu leben, wird aber erst
in einem ½ Jahre kräftig.


d. 12. J.

Vorgestern erhielt ich Ihre Loose, wovon ich bisher 4. angebracht,
eines an mich, 1. Herzog, 1. Graf Türkheim, 1. H. v. Donop. In
Ihrem Briefe standen 20 Loose, aber nur 10 lagen darin .....
Apropos! eben las ich Ihren Brief richtiger, er ist richtig. — Schicken
Sie mir immer alles, was Sie erleichtert; ich nehm’ alles gern ent
weder in das Herz oder auf die Schulter. Nichts ist schmerzlicher und
mistönender — sag’ ich in Rüksicht Emanuels Von dessen Behauptungen ich noch nichts weis. — als wenn zwei
gleich reine Melodien zugleich rein gesungen werden, nur aber jede
aus einem andern Ton. Aber unter reinen Menschen löset die Zeit den
Krieg; und aus dem Waffentanz wird ein hübscher Grosvater- und
Sphärentanz.


Mein ewiger grosser Herder empfange hier seinen Grus und Dank!
Sein lebendiges Seelenwort hat mich mehr als er weis, auf den
rechten Fuspfad am Musenberg empor geleitet, wie er aus dem 3. Ti
tan noch mehr sehen sol. Sein Geist ist eine schöne Anthologie der
Menschheit und besonders eine hübsche griechische. Bekränzt und leicht
gehe die Zeit vor seiner innern Ewigkeit vorüber! —

Sehr, sehr freu’ ich mich der Adrastea entgegen!

Der guten Herzogin Mutter und dem Zirkel dieses schimmernden
Mittelpunktes möcht’ ich gern hier durch Sie ein Grüslein schicken —
auch Ihren Kindern und besonders dem schönen. —

Ich stehe mit dem Herzoge hier — der 10000 etc. mal moralischer
ist als etc. etc. — auf einem so guten und doch freien Fus, daß man mir
sogar einigen wohlthätigen (aber unwilkürlichen) Einflus zuschreibt.
Was könte erst ein H[erder] wirken?

Ich habe an einen Posenschraper in Hamburg um Kiele, an
Fourcroy in Paris um ein Dintenpulver, und an 3 holländische
Papiermühlen um Papier geschrieben, um nur unserem H[erder] so
viel Federn, Dinte und Papier zu schicken als er braucht, um mir
doch die vier Worte zu schreiben: ich verharre


Deroselben Freund
R.

Alle Grüsse des Herzens von meiner Caroline an Sie alle!

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Goethe- u. Schiller-Archiv. 6 S. 8°. K (nach Nr. 229): Die Herd. 9. J. J: Herders Nachlaß Nr. 45×. B 1: IV. Abt., IV, Nr. 193. B 2: IV. Abt., IV, Nr. 199. A: IV. Abt., IV, Nr. 209. 126,19 Kopf und] nachtr. H 26 vol] unter K Geistes-] aus Bücher- H 127, 1 ao] nachtr. H 7 Gattin] aus Frau H 9 mir] davor gestr. uns H 9f. in Hildburghausen] nachtr. H 19f. und mistönender] nachtr. H 21 zugleich] nachtr. H 25 hier] nachtr. H 28 nochmehr] nachtr. H 29 und leicht] nachtr. H 30 gehe] geh’ ihm K 128,3 aber] nachtr. H 4 wirken] aus thun H 5 um Kiele] aus nach Kielen H 6 in Paris] nachtr. H 7 um Papier] nachtr. H 9 doch] aus nur H vier] aus drei H 10 Deroselben] aus Ihr H

126,18 Präsident Heim: s. Nr. 325†; die Beilage ist nicht erhalten. 27–29 Karoline Herder war noch nicht dazu gekommen, den 2. Band desTitan zu lesen. 30 Vgl. Bd. III, 310,12f. 127, 1 Gerning: s. Bd. III,Nr. 164, 125,36†. 3–6 Die Erfurter Literaturzeitung hatte Jean Paul zur Mitarbeit aufgefordert; vgl. 132, 33f. 8–12 Nach einem Brief KarolineRichters an ihren Vater v. 4. Jan. 1802 (H: Berlin JP) handelte es sichnicht um die versprochene Präbende, sondern vielleicht um jene Pensionvon kleinen Fürstinnen, reichen Edelleuten und Verehrern Jean Pauls, vonder die Krüdener ihr (Karoline) einmal gesprochen habe; vgl. zu Nr. 353und Charlotte v. Schiller u. ihre Freunde, 2. Band, Stuttgart 1862, S. 69. (Es wurde nichts daraus.) 14–17 Karoline Herder hatte in B 2 um denAbsatz von 10 Losen für eine Gemäldelotterie gebeten. 15 Donop: s. Nr. 339†. 19–24 Vgl. B 2: „Ich habe in diesen Tagen einen großen Briefan Sie geschrieben, treuer Freund, — ich mußte mein Herz erleichternüber einen, den ich von Emanuel erhielte. Die empörendste Unwahrheitfür Wahrheit, von diesem Mann anzunehmen, dies ist sehr bitter. —Da ich meinen Schmerz vom Herzen einigermaßen weggeschrieben hatte,so habe ich mich entschlossen Sie mit meinem Schmerz nicht zu beschweren ...“ Emanuel hatte in einem Brief an Karoline Herder v. 27. Dez.1801 (H: Apelt) sich dahin geäußert, daß in dem zwischen AdelbertHerder und Voelderndorff ausgebrochenen Streit (s. zu Nr. 204 u. 206)ersterer im Unrecht sei. (Die spätere schlimme Entwicklung Adelbertssollte das bestätigen; s. auch 270, 1–5.) Vgl. IV. Abt. (Br. an J.P.), IV, Nr. 244. 26f. Vgl.I. Abt., XI, 430,35f. 128, 2 ist natürlich zu ergänzen: als der Herzog vonWeimar, mit dem Herders damals auf sehr gespanntem Fuße standen;s. Bd. III, Nr. 302, 222,34ff. 3 Einfluß: vgl. 133, 19–21. 5 Posenschraper: Händler mit Federkielen; Herder hatte im Brief an J. P. IV. Abt., IV, Nr. 158 auf JeanPauls Kargheit mit Gänsefedern angespielt, wozu dieser in einer Fußnoteanmerkt: Ich hatte ihm eine, 5 Groschen werth, eine Glasfeder blos geschenkt, und fragte aus Berlin, wie er damit schreibe. Vgl. 3, 7f.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_228.html)