Von Jean Paul an Emilie Dorothea Friederike Harmes. Meiningen, 9. Oktober 1802.

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Brieftext

Meiningen d. 9. Okt. 1802.

Gute Emilie, (wenn ich diesen Laut der alten Zeit noch brauchen
darf)! Ihr heutiger Brief, dessen Klage beinahe den Verlust des
meinigen vom 27. Junyworin ich für die blühende Caledonia dankte.
voraussezt, hat mir weh gethan. Denn
jezt erst in der Heiligung der Ehe hab’ ich die rechte Liebe gelernt oder
vielmehr sie geläutert von fremdem Zusaz; und jezt erst trag’ ich das
Herz, das Sie recht und besser liebt als sonst. (Denn Sie hatten leider
sonst mit Ihren Anklagen so sehr Recht als sonst ich zuweilen mit
meinen) aber diese rechte Liebe wil That und Gegenwart. Briefe sind
ihr nur eine Bühne, wo sie spielt und dichtet und doch nicht genug sich
ausspricht. Eine Umarmung ist mehr werth als zehn Briefe. Und doch
bitt’ ich Sie um diese, da das lebendige Beisammensein uns entzogen
ist. Indes waren Sie hierbei Ihr eignes Schiksal; ein so kleiner Zusaz
zu Ihrem langen Wege, der zwei Glükliche oder drei gemacht hätte,
wie eine Fahrt hieher, stand in Ihrer Macht. In der meinigen steht
jezt, da ich der Gesundheitswächter meiner Caroline bin, keine Ent
fernung. Die F. v. Kalb hat uns mehrmals besucht; und sie hat den
Freund wiedergefunden. Ich könt’ Ihnen freilich hier nichts anbieten
als ein Kanapee; aber mit welcher Wonne und Einigkeit (z. B. über
die Franzosen) würden wir jezt die wilde Zeit vor uns vorüberziehen
lassen! Wie unaussprechlich viel hätten wir uns zu sagen! Und wie
neu wären Sie mir, da Sie — glüklich sind! Ihre Worte: „mein
angebeteter, trefflicher August“ (den Sie recht grüssen sollen) sind
mir die Blumen Ihres Blattes. Ihr jeziges Glük beschwört mein
altes ewiges nie besiegtes Urtheil über den alten heiligen Wunsch
Ihrer Brust.


Schrieben Sie so viele Bücher wie ich: so könt’ ich Briefe ent
behren. Sie leben ja immer im Geheimnis meiner Seele durch den
Titan, dessen 3. und noch mehr künftig dessen lezten Theil ich Ihrem
Lesen empfehle. Uebrigens war ich bisher so seelig ohne ein Kind, nur
durch die Mutter — jezt steht ein Gestirn über dem andern — und
so verlang’ ich nichts mehr als meine alten Freunde. Hier hab’ ich
keine, im Sinne Ihrer Freundschaft und bleibe daher nicht.


Leben Sie wohl, fortgeliebte Emilie. Meine Frau sehnt sich nach
Ihrem Anblik. Meine Seele weicht von keiner edeln reinen; und
darauf bauen Sie ewig!

Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: zuletzt Kat. 685 Stargardt (November 2006), Nr. 259; ehem. Slg. Apelt, Zittau. 4 S. 8°. K (nach Nr. 324): Harms. 9. — J: BerlepschNr. 10. i: Denkw. 2,135. B: IV. Abt., IV, Nr. 262. 185,13 sonst2] nachtr. H zuweilen] nachtr. H 25 wilde] nachtr. H 30 altes] nachtr. H

Emilie scheint Nr. 288 verspätet erhalten zu haben. Sie hatte vonWeimar aus, wohin sie gereist war, um ihre Tochter Luise „gegen dieschändliche Niederträchtigkeit ihres Vaters zu schützen“, Jean Paulheftige Vorwürfe wegen seines „Loslassens“ des Freundschaftsbandesgemacht. 185, 24f. Vgl. Bd. III, 406, zu Nr. 75.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_323.html)