Von Jean Paul an Emilie Dorothea Friederike Harmes. Meiningen, 27. Juni 1802 bis 28. Juni 1802.

Zum TEI/XML DokumentZur originalen Webseite

Brieftext


Meiningen d. 27. Jun. 1802 [Sonntag].

Unvergessene! Ihre Strafpredigt, die in einem Couvert bestand,
nimt der Sünder willig hin, der sogleich darauf an Ihrer Hand in
Caledonia aussteigt, ob er sie gleich erst dan verdiente, wenn er die
Freude, Sie zu sehen oder zu hören, versäumte, stat der andern, sich
hören zu lassen. Ihr Buch ist mit der Eleganz der volendeten Welt
Bildung geschrieben, ohne doch die Individualität einer seltenen Kraft
weniger zu zeigen. Ich gestehe, Ihre kosmopolitischen Digressionen —
worin ich freilich oft da ein Gemälde finde, wo der andere nur eine Farbe
sieht — fasten mich am stärksten und manche führten mir schöne
Abende zurük, wo ich uneiniger mit Ihnen war als jezt. In meinem
Glaubensbekentnis stehen einige neue Artikel, wie der 2te Titan zeigt.
Wenn Sie einmal reisen: so müssen wir uns — da Sie doch aus und
nicht nach Norden ziehen — begegnen; dan wird die Stunde um
kehren, wo wir uns zum erstenmale sahen.


Was kan ich Ihnen von meiner Geschichte und Ruhe mittheilen?
Wie wil man so viele lebendige Verhältnisse und Epochen auf ein
Oktavblat bannen? — Das Gebet um Dauer ist meine Geschichte.
Doch bezieht sichs nicht auf die Stadt, die ich einmal verlassen werde.
Indes kan ich jezt mit und durch meine Caroline an jedem Ort aus
halten.

Ihr guter Sohn verlies eine längst von ihm verlassene Welt, wo
ihn nicht die Lage, sondern er diese unglüklich machte. Ihm war eine
Un-Glükseligkeitslehre angeboren und niemand hat eine Schuld.
Wen die Jugend nur beraubt, den kan das spätere Alter noch weniger
bereichern; und dem Armen und Guten, der eine seltene Mischung
von stoischer Strenge und epikur. Sinlichkeit war, konten alle Jahre
über der Erde nicht die Ruhe geben, womit er jezt in ihr schläft. Er
schlafe sanft, er war etwas besseres werth als sein Loos!


d. 28 Jun.

Zu Ostern 1803 komt der lezte Band des Titans; auf Ihr Urtheil
über den Anhang zum 2ten Band und über den 3ten B. bin ich neu
und begierig. —


In dieser Woche gehe ich auf eine mit meiner Frau nach Weimar.
Mit Herder blieb ich immer im alten unverrükten Bund.

Ihr verehrter Man sei recht innig von mir gegrüsset. Geben Sie
mir einige Worte. Ihr Geist weiche nie von Ihnen jezt in der Ruhe,
so wie er sonst feststand in den Stürmen! Leben Sie wohl!


J. P. F. Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: DLA, Marbach. 4 S. 8°. K: Die Berlepsch 27 Jun. J: Berlepsch Nr. 9. i: Denkw. 2,134. B: IV. Abt., IV, Nr. 208. 156,17 der1] ein K 28 dan] aus das H 157,1 längst] schon K 4 Wen] danachgestr. nun H das spätere Alter noch weniger] aus kein Alter weiter H 7 jezt] nachtr. H 8 besseres] aus besseren H

Vgl. 158, 1f. Emilie hatte ohne Begleitwort ihre schottische Reisebeschreibung „Caledonia“ (Hamburg 1802, 3 Teile) übersandt. In B zeigtsie den im Januar 1802 erfolgten Tod ihres Sohnes (Friedrich v. Berlepsch)an und macht sich Vorwürfe darüber, daß sie (infolge ihrer Scheidung)sich seiner nicht mehr angenommen habe. Sie werde erst im Mai 1804 wiederreisen — nach Lausanne, vielleicht Paris — und Jean Paul dann sehen.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_288.html)