Von Jean Paul an Johann Gottfried von Herder. Berlin, 8. Oktober 1800 bis 17. Oktober 1800.
Brieftext
Unvergeslichster Freund! Die erste Zeile, die ich auf die Post schicke,
ist an Sie. Am vorigen Freitag kam ich — nach einem Rast-
und
Regentag in Dessau —
hier an samt einer Berliner guten und armen
Kammerjungfer, die ich in Dessau
auf mein Kutschkissen gebettet. Die
Weiber sind die besten
Ripienstimmen des Lebens die mir noch zu Ohren
kamen. Ich
wolte, ich wäre kein Solosänger. —
Ich habe kaum noch eine halbe Million Besuche gemacht und ver
schiebe das Mehrere erst auf die Zukunft.
Buri, dessen neugefärbter
Göthe hier nicht gefallen wil, wurde einen da Vinci für 80 Dukaten
an den König los, ein anderes Stük für 30 an die Königin und
eines
für 10 an — ich weis nicht und malte die Prinzessin Taxis. —
Merkel
sizt noch auf seinem Richterstuhl, dem die Lehne fehlt, und
hält seine
Zunge für das Zünglein in der Themiswage
und ist mit dem stillen
Beifalle zufrieden, den ihm H. Merkel zolt. Da hier so viele
auf ihn
zürnen — besonders wegen seiner Bulle gegen den Titan — so fang’
ich almählig auch an, mich zu ereifern und gedenke ihn bei
Sander
höflich anzufeinden.
Gestern wurde Mozarts Requiem als Todtenfeier des
herlichen
Fasches von seiner Singschule in der Garnisonkirche
gegeben und der
Ertrag — 12 gr. kostete das Billet und 2000 Menschen waren
darin —
für das Bürger-Rettungs-Institut bestimt. Giebt es
eine rührendere
Zusammenstellung als diese dreifache
Beziehung? — In manchen
Stellen ziehen die
Mozartischen Donnerwolken und in andern schlagen
seine
Nachtigallen; aber das Ganze wird nicht von seiner harmonischen
gewaltigen Weltseele getragen und verknüpft. In der lezten
Fuge er
innert die Wiederholung einer
nächsten rührend an seinen sterbenden
Geist, der schon halb
mit der Lippe unter dem Todesschleier, die lezten
Worte zweimal stammelt. — Ich muste unter den kanonischen Ent
zückungen oft an Ihre denken und an Ihre Wünsche. —
Alle meine häuslichen Verhältnisse sind durch Ahlefeldt,
meinen
Stuben- und Herzens-Nachbar, heiter und gesellig. Meine
schriftstelle
rische Spinmaschine ist
im besten Gang und alle Räder laufen und
sausen darin
zum Besten dieses und der künftigen Jahrhunderte. Ich
bin
begierig zu wissen, wie der holländische Glaskiel, womit ich Ihnen
ein Geschenk gemacht,
sich noch hält ... Aus dieser langen Stockung mitten im Perioden
sehen Sie das Treiben durch die Strassen, wozu noch das
Zimmern am
Titan komt. Verzeihen Sie daher diesen öden
luftigen Brief. — Daß
die Berlepsch in Meklenburg ist und
(unter uns) doch wahrscheinlich
wieder nach Schotland geht, wissen Sie wohl. — Fr. v. Berg,
die ich
mit ihrer Tochter bei dem Minister v.
Alvensleben gesprochen, eine
geistige Amazone, gedenkt Ihrer und Ihrer Harzreise
mit ihr noch mit
dem schönsten Feuer der Liebe. —
Ihre liebe Gattin möge diesmal mein Schweigen gegen sie ent
schuldigen, da ja fast dieser Brief
eines ist. Alles um Ihren Tisch sei
gegrüsset. Alle Stunden
kan mir das Leben wiederbringen, nur nicht
die
glänzenden von 8 bis 10½ Uhr an Ihrer Seite; und keine Freude
kan diese Sehnsucht mildern. Leben Sie wohl, Geliebtester!
Der Tolle Bury ist bey Richter, und raucht Tobac bey
seinem Freund
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_4.html)