Von Jean Paul an Johann Gottfried von Herder. Weimar, 16. Mai 1800.
Brieftext
Verehrtester! Noch vor meiner Abreise mus ich den verlornen Brief
durch einen vermehrten ersezen.
Ehe der Ihrige kam, war der meinige an C. schon halb
geschrieben
und zwar mit jener Stille und Helle, die Sie
begehrten. Die Wirkung
von meinem mus — vielleicht gegen Ihre
Erwartung — die volendete
Auflösung meines Bundes mit C. sein. Sie haben durch eine Wendung
des Verhängnisses eben so viel für mich gearbeitet als für
C. Aus die
sem
einzigen Umstande sehen Sie, daß mein Betragen in Ilmenau
ein ganz anderes von C. und B. voraussezte als man voraussezte. Ich
verschone Sie mündlich und schriftlich mit der Annäherung zu
dieser
Sphinx, deren Krallen Ihnen die Wunden
gab[en], die Sie mir und
C. nehmen wolten.
In Ilmenau wiederfuhr mir in wenig Tagen mehr
schmerzliches
Unrecht als in vielen Jahren überal. Aber Ihre edle Seele
konte nie
eine Minute lang von der meinigen verkant oder
misverstanden
werden. Sie könten mir leichter mein ganzes
Glük und Ihre Freund
schaft
nehmen, als nur das Geringste von meinem liebenden Glauben
und meiner Verehrung für Sie.
Jezt treib’ ich mich wieder mit
aus[ge]leertem dürftigen Herzen in
das weite Weltmeer hinein und ruhe nur auf den Wogen.
Möge während meiner Abwesenheit das Schiksal Ihre Kalligone
sein und Ihrer Seele unter den Menschen und Stunden
das Schöne
zuführen, das ihr gehört! —
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_465.html)