Von Jean Paul an Gottlieb Ernst August Mehmel. Coburg, 9. Juni 1804.
Brieftext
Hier haben Sie alles, was ich Ihnen (noch außer meinem Dank)
schuldig war, nämlich was ich geborgt und was ich versprochen hatte.
Ihr Schleiermacher — den sein mystischer Isis-Name als
Allegorie
durch alle seine Werke begleiten wird — hat mich mit
seiner platoni
schen Schärfe, Höhe und Tiefe ergriffen,
wie seit langem kein philo
sophisches Werk.
Zum Glück hatt’ ich in meiner Ästhetik einen Platz
für meinen erneuerten Enthusiasmus für ihn noch frei. O gäb’
uns
dieser Nach-Plato eine positive
Ethik! Wiewohl diese negative
auch anregt und wiewohl überhaupt in der gelehrten
Welt nur mehr
die Polemik als die Thetik gedruckt werden
kann.
Auf meine Gefahr schick’ ich Ihnen die ersten acht Bogen der
Aesthetik. Verlieren Sie wenigstens nicht die Hoffnung — denn hier
ist erst ein Viertel — wenn auch die Geduld. Vorrede —
Prospektus
— Herumblättern — alles fehlt. Ich hoffe,
wir begegnen uns doch —
wenn nicht auf den Wegen zu dem
Musenberge hinauf und hinab,
doch oben auf dem Gipfel — so wenig ich auch Personen und
Schulen
nachzugehen und entgegenzugehen scheine.
Da ich der Frau von Kalb so vielen Dank für Sie gesagt, so errathen
Sie, wie vielen ich Ihnen selber zu sagen habe. Jenes
— dem musikali
schen ähnliche dialogische
und philosophische Phantasieren über
unserm Abend- und
Mittagessen — und das ganze Zusammenleben
— und das leichte
Kennen — und der Krieg — und der Friede — und
jeder, den Sie
noch besonders von mir grüßen sollen, besonders Le
Pique [?],
und welcher Namen ich noch weiß (Meinecke) und nicht
weiß (z. B. den immer so ruhig auseinanderlegenden und
einwerfenden
abcdef etc.) — dieß alles gab ein schönes Freudenfeuer, an
welchem dieß
das Schönste ist, daß jeder Feuerwerker auch das
Feuer war.
Ich danke Ihnen noch einmal recht herzlich für die schönen Stunden,
die Sie mir nur mit der Sonnen-, nicht aber mit einer matten
Mars-,
Zeres-, Pallas-Uhr zugemessen.
Ich bitte Sie, mir Tiecks Minnelieder und — ist
[es] möglich —
Schelling über Religion zu senden, aber unfrankiert, denn
sonst
würden Sie diese Bitte die letzte zu sein zwingen.
Leben Sie wohl in Ihrem schönen, warmen, hellen Kreise.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_474.html)