Von Jean Paul an Emanuel und Gottlieb Ernst August Mehmel. Meiningen, 15. März 1803.

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Brieftext

M[einingen] d. 15. März 1803.

Gestern Mittags — als ich eben 2 Gläser von der lezten Flasche
als Kur- und Esmittel trank (denn Nachmittags war ich längst 〈vor
8 Tagen〉 ans Bamberger zu starke Likörbier gebant und schlief darum
schlechter) — und als ich eben die Röschlaubische Erregungstheorie
und von den Inzitamenten las — kam für 4 elende rtl. Fracht Ihr
Fas Inzitamente an, für das ich ein Danaiden-Fas bin und das den
Menschen, wie ich gleich Nachmittags sah, so sehr stärkt. Ich halt’ es
für das stärkste, was Sie mir gesandt. Ists Märzbier? — Gott segne
Sie für Ihre helfende Hand und biet’ Ihnen stets seine. Einmal wil
ich mich doch ernsthaft über meinen Trinkunfug vertheidigen. Nämlich:
Von meinem 16 Jahr an trank ich bis ins 20te weder Bier noch
Kaffee, nur zulezt diesen an Sontagen. Dan häufiger, aber stets für
den Kopf. Erst im 30 nahm ich als Heilmittel Bier ein, um nicht im
Kaffee zu ersaufen; und 8 Jahre später Wein. Ich kenne keinen
Gaumen-, nur Gehirnkizel; und steigt mir eine Sache nicht in den
Kopf, so sol sie auch nicht in die Blase. „Kontest du nicht so viele und
so trefliche Werke in längerer Zeit bei kleinerer Anspannung geben“
sagt die Welt. Nein, Welt! Die Kunst fodert Intension der An
strengung, nicht Extension; der freilich, aber auf meine Kosten, die
Abspannung folgt. Aber mit blossem natürl[ichem] Feuer ohne äusseres
sind gewisse Kalzinier-Effekte gar nicht zu machen; Glas wil ein
anderes Feuer als etwa ein Braten. „So must du aber täglich die
Inzitamente steigern?“ Freilich, aber es kostet blos verflucht Geld,
nicht einmal Gesundheit, denn almählige Zunahme der Reizmittel
schadet so wenig als ein heisses Land dem Einwohner. „Du bist ab
hängig, Guter! Must durchaus immer mehr nach Süden.“ Im Winter
bin ich auch vom Ofen abhängig und im Leben von allem Satan.
Übrigens darf ich, da ich doch das Beste und Möglichste in meinem
Dasein schon gethan, nämlich 25 Bände schon gemacht habe, nun mit
dem Reste des Lebens und Schreibens nicht mehr so scheu umspringen
als mit dem Anfang.


Nur Eine Schwelgerei hab’ ich, die daß ich immer in der hohen
Fluth aller Kräfte schwimmen wil; und mit Büchern und Menschen
füll’ ich sehnsüchtig die Ebbe aus.


Was Trunkenheit ist — die nämlich den Geist lähmt, anstat be
flügelt — denn etwas anderes und besseres ist, wenn ein Man abends
blos im Zikzak heimgehen mus — kenn’ ich nicht.


Von Ihrem Thierotschen Briefe fand ich endlich spät in meiner
C. Briefkästgen dieses Blat. Bin ich Ihnen mehr schuldig: so mus ich
Ihnen zur Entschädigung einen an mich dafür anbieten. Ich bitte Sie
um seine Adresse, damit ich doch auch an ihn schreibe. Unendlich wenig
briefstellere ich jezt. — Ihr lezter Brief gefiel mir sehr; es ist aber
wie mit dem Bier; das lezte Fas hat den meisten Geist, denkt man.
Ich wil Ihre Einfälle darin nicht zählen; aber ein schöner des Ge
schiks wars, daß Sie Uhlfelder schon auf dem geliebten Grabe fanden.
Du guter Schaefer! Dein mattes Schiksal und Gesicht waren deiner
nicht werth! —

Nur physische Erziehungsprinzipien kan ich jezt befolgen; bei den
moralischen künftig werd’ ich nur die gesezgebende Gewalt haben
und C. die ausübende. Väter, zumal der Bücher, haben zu wenig Zeit.
Was Otto anlanget, so erinner’ ich mich nur, daß ich ihm alle meine
eignen pädagogischen Marschreglements in Töpen und Schwarzenbach
hinterher erzählet habe.


Wollen Sie mir nicht ein Urtheil über meine Bücher sagen: so
sagen Sie mir nur eines über irgend andere poetische. Ich weis so
wenig von Ihrer ästhetischen Seite. Es ist spät, ich bin müde. Haben
Sie noch einmal Dank, guter Mensch, für Ihre Vatersorge um mich.
Genau genommen hab’ ich noch eigentlich gar nichts für Sie gethan
oder thun können. —

Richter

Senden Sie mir doch auch einmal Briefe an Sie.


Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: SBa. 5 S. 8°; es folgen noch 2 S. von Karoline. Vermerk Emanuels:12ten Apr. ihm beantw. K: Eman. 15. März. J: Denkw. 1,126×. A: IV. Abt., IV, Nr. 283. 207,32 Kur- und Esmittel] aus Kur H 35 Ihr] aus ein H 208, 8 nahm] aus fieng H 9 8] aus 6 H 11 so2] eben so K 14 nicht Extension] nachtr. H 16 Glas wil] aus Gläser wollen H 17f. die Inzitamente] aus mit den Inzitamenten H 19 nicht einmal] aus und keine H 20 heisses] aus warmes H dem Einwohner] nachtr. H 28 Büchern] aus Lesen H 29 füll’] davor gestr. rüst’ ich mich H 30 anstat] aus stat H 32 heimgehen] aus gehen H 209,10 eignen] nachtr. H

207, 34 Andreas Röschlaub (1768—1835), Professor der Medizin, Anhänger Browns, entwickelte seine „Erregungstheorie“ hauptsächlichin seinen „Untersuchungen über Pathogenie“, Frankfurt a. M. 1800—02. 209, 4 Schäfer: vgl. 215, 30–33 und Bd. III, 310, 33 †.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_355.html)