Von Jean Paul an Carl August Böttiger. Berlin, 1. März 1801.

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Brieftext

Berlin. d. 1. März 1801.

Ich wil gar nicht um Vergebung bitten sondern um Bestrafung,
da ich mein Schweigen doch nur vor mir entschuldigen kan. — Meine
Novitäten sind wahrscheinlich schon für Sie Antiquitäten; z. B. die
wenn ich Ihnen erzählen wolte, daß ein H. v. Held als Verfasser
„der beiden Jakobiner“ eingezogen worden, daß seine Defension nur
eine stärkere Wiederholung des Buchs war und daß die 2 Beklagten
auch hier, aber im andern Sinne, den lezten Saz haben. — Buri be
komt immer mehr fürstliche Gesichter unter seinen Pinsel; vielleicht
auch, wie mir die russische Gesandtin versprochen, das theuere der
Grosfürstin. — Ich sehe Delbrük, den Prinzenmentor oft; der recht
viel von dem mythologischen im Thelemach [!] hat, und zur Weisheit
noch die Güte. — Ich und Fichte disputieren häufig, aber mit gegen
seitiger Liebe und er besucht mich. — Göthe’s neues Stük gefiel nicht
einmal seinen Freunden. — Merkel läuft mit seiner kritischen Sohl
wage noch alle Wochen durch die Gassen, und Bosheit suppliert ihm
Gründe wie sonst Jahre; man mus doch einmal dieses leere Män
leingen selber auf einige Minuten in die Fischwage werfen.

Im Mai komm’ ich auf 10 Tage nach Weimar, um vielleicht nach
Meiningen zu ziehen. —

Apropos! Thieriot, der jezt hier ist, sagte mir, daß man ihn für
den Architekten des „Thurms zu Babel“ halte. Ich bitte Sie, diese
schon voraus von seinem Wiz und seinen moralischen Gesinnungen
vernichtete Verläumdung auch mündlich mit vernichten zu helfen. —


Leben Sie wohl. Ich freue mich auf Ihr Wiedersehen. Grüssen
[Sie] Ihre Frau, Herder und die Herzogin. —

Ihr
Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Dresden. 3 S. 8°; auf der 4. S. Adr.: H. Oberkonsistorialrath Böttiger.K: Böttig. 1. März. J 1: Funck S. 169. J 2: Denkw. 3,76. B: IV. Abt., IV, Nr. 28. A: IV. Abt., IV, Nr. 101. 49,11 die] nachtr. H 14 daß] danach gestr. nicht H 23 durchdie Gassen] aus aus H 24 Gründe] nachtr. H leere] nachtr. H 25 selber] nachtr. H in] aus auf H 30 schon voraus] nachtr. H

49 , 12–15 Hans Heinr. Ludw. v. Held (1764—1842), ein ehemaligerAngehöriger des Zerbonischen Geheimbundes (s. Bd. II, zu Nr. 701),hatte in dem Buch „Die wahren Jacobiner im preußischen Staate, oderDarstellung der bösen Ränke zweier preußischer Staatsminister“, (Berlin)1801, den Grafen Hoym und den Großkanzler v. Goldbeck maßlos angegriffen. 17 russische Gesandtin: Krüdener. 18 Großfürstin: Helene Paulowna, zweite Tochter des Zaren Paul, Gemahlin des Erbprinzen Friedr. Ludw. von Mecklenburg-Schwerin (1784—1803), die zumKarneval in Berlin weilte. Friedrich Delbrück (1768—1830); s. Bd. I, zu Nr. 394, und Persönl. Nr. 125. 21 Goethes neues Stück: „Palaeophron und Neoterpe“, das in dem Seckendorffschen Neujahrstaschenbuch vor Jean Pauls Leichenrede auf den Fürstenmagen erschienenwar; Böttiger hatte über die Aufführung in Weimar berichtet. 29DerThurm zu Babel oder die Nacht vor dem neuen Jahrhundert, Lustspiel,das Goethe krönen wird“, Deutschland 1800; als Verfasser wird Kotzebuegenannt, wahrscheinlich mit Unrecht.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_90.html)