Von Jean Paul an Johann Adam Lorenz von Oerthel. Hof, 29. Juli 1785.
Brieftext
Rochefoucauld sagt: der Dank hat oft nur die Absicht, noch mehr
zu bekommen. Das ist so richtig, daß ich dir meinen Dank für
dein
Papier — indem ich dir diesen halben Bogen davon schenke
— blos
darum bezeuge, um wo möglich einen ganzen habhaft zu
werden, auf
dem du mich versichern must, daß er mir
gehöret.
Der iunge Joerdens, der bisher den Namen eines Fixsterns
führen
konte, weil er sich wenig bewegte und von niemand Licht entlehnte,
hat sich in der
vorigen Woche in einen ordentlichen Wandelstern
verkehret und scheinet iezt vielleicht schon in Berlin. Das
Ziel, worauf
er aus ist, ist, seinen Kopf auf einen bessern Fus zu sezen
als er bisher
noch konte und einige medizinische
Kentnisse zu erlangen: er wird bei
verschiedenen grossen
Männern Berlins einsprechen und mit iedem so
umgehen, daß er
ihn nicht ohne Vergnügen wieder entlässet. Da man
in Bayreuth
einsah, daß seiner Verdienste und Kentnisse so wenig
Legion wären, daß man vielmehr kein Mittel unversucht lassen
dürfte,
ihn zu neuen anzufrischen und anzufeuern: so
sind ihm höhern Orts zu
seiner Reise zweihundert Gulden Reisegeld verwilligt worden;
und
er reiset und lernet iezt auf Kosten unsers ganzen Landes. Fahre
wol, glükliches Schif, das Gold und Ballast träget und kehre
bereichert
nach Hause; aber ich möchte um wieviel nicht der
Staat sein, der auf
dich sein Kapital giebt und mit dir einen glüklichen
Grosavantur
handel zu treiben gedenkt. —
Sechs Wochen wil er da verweilen;
und am siebenten Tage wil er nach einer so beschwerlichen Selbst
erschaffung ruhen so lange er einen Athem
hat.
Ein gewisser Schreiber, Drechsel, den dein H. Vater kent, sizt hier
in gefänglicher Haft, weil man von ihm sowol Beweise
hat, daß er
etliche male gestohlen, als Muthmassung, daß er das
Pasquil (in der
vorigen Woche) gemacht, das eine Konduitenliste
der hiesigen Kauf
leute war und besonders
die iungen Leute, die auf einem neulichen
kleinen Balle waren,
z. B. die Fischers und Köhlers Mädgen und die
beiden Otto’s in schlechten und pöbelhaften Versen
angrif.
Ungeachtet ich kaum von dir weg bin — in der That ich bin es nicht
einmal ganz und ein Theil meines Wesens, das ein Doppellauter
ist,
sizt noch immer in deiner Stube und schreibt — so komm’
ich doch
im [!]
nächsten schönen Tage sehr früh einmal wieder, um dich zu einem
sehr frühen Spaziergange aufzuwekken, und gehe abends ganz
spät
wieder fort.
Ein Advokat hier entschuldigte seine Versäumung des fünften
Termins mit der — Krankheit seines Kindes und scheint dadurch
denen
einen Vorwand mehr gegeben zu haben, die den Juristen
vorrükken zu
können glauben, daß sie den zärtlichern
Regungen zuweilen zuviel Plaz
lassen.
Möchtest du mir nicht das Fräulein Sternheim bald auf kurze
Zeit schikken? Lasse sie aber nicht ohne Brautführer weg, ich
meine
ohne einen Brief von dir. Lebe so wol als ich neulich
bei dir.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_110.html)