Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Leipzig, 17. September 1781.
Brieftext
Hocherwürdiger und Hochgelerter Herr,
Hochzuvererender Herr Pfarrer,
Dieselben erwarteten one Zweifel von mir Briefe; und ich von
Ihnen. Ich hofte von einem Posttage zu dem andern, ersan mir
tausend Ursachen, warum Sie nicht schrieben, behielt iede solange, bis
sie sich von selbst widerlegte und fiel endlich auf den
Gedanken, Sie
beleidigt zu haben. Allein mit Wissen? —
nein, dies bin ich unfähig zu
tun, und Sie, es zu vermuten;
oder aus Unwissenheit? o! so werden
Sie schon lange vergeben
haben. Meine Verzögerung kan ich mit
nichts als dem folgenden
entschuldigen. Ich schrieb Ihnen nicht, weil
ich nichts
Interessantes zu schreiben hatte, und Sie nicht durch die
Wichtigkeit der Materie für den Ekkel schadlos halten konte, den der
schlechte Vortrag derselben erwekt. Und selbst dieser Brief wird
noch
mager sein, daß man wol ausrufen könte: Meister, wir haben
die ganze
Nacht gefischt und etc. —
Der Doktor Ernesti starb den 13 Septemb. Vielleicht lernt’ er hier
auf der Welt zu wenig Latein; und nimt im Himmel den
Zizero selbst
dazu, um ganz ein Römer zu werden. Er war mit
soviel Titeln, Eren
namen, Beiworten und Zierden behangen, daß
man kaum den
Menschen davor sehen konte. Jezt modert sein
römischer Kopf,
sein Gehirn von Zizero’ sphrasen und das ganze
Behältnis alter Ge
lehrsamkeit, im
Grabe; sein Rum flattert über seinen Hügel weg; er
hört ihn
nicht mer. Warlich Pope hat Recht, den Rum ein ein
gebildetes Leben in dem Odem des andern zu
nennen. — Der D.
Barthd
[!] in Halle läst sich’s gut sein. Jezt
hat er gerade soviel
Pension und so wenig Titel, als er braucht, um mit den Studenten
in
die Wirtshäuser zu gehen und Brandewein zu trinken. Man hat
ihm,
glaub’ ich, eine grosse Gefälligkeit getan, ihn von
einem Teil seiner
Erentitel zu entledigen; denn nun hat er
gerade so wenig Ere, als
nötig ist, um sie one Schande mannigmal
verlieren zu können. Der
D. Semler möchte gern seine Toleranz
gegen ihn an den Tag legen;
allein er kan ihm nicht beikommen. — Zur Messe kommen
verschiedne
wichtige Bücher heraus: Kant’s Kritik der Vernunft;
wizzig, frei und
tiefgedacht! Garve’s Übersezzung der Bücher Zizero’s von den
Pflichten, mit philosophischen Anmerkungen — Mendelsson giebt
etwas über den Karakter Lessing’s heraus, und Platner
neubearbeitet
seine Aphorismen. Da ist ware Philosophie, die so selten ist,
weil man
soviel von ihr spricht. Platner ist unstreitig
einer der besten Philosophen
Deutschlands. Welch Glük für mich! sein Zuhörer sein. —
Neulich las ich in einem Buche die Inschrift auf Neuton’s Monu
ment; sie ist zu schön, als daß ich sie
nicht hersezzen solte:
Hic iacet Isaacus Neuton,
Si nescis hunc, abito.
Diese Universität hat eben nicht viel grosse Männer: wenn man den
Platner, Morus, Klodius und Dathe ausnimt; so findet man überal
nur mittelmässige Leute. Dathe liest nicht gut, und hat noch
dazu einen
schlechten Vortrag; er weis auf dem Kateder nicht halb das Gute
zu
sagen, was er in seinen Büchern sagt. Man hat mer
Nuzzen, wenn
man ihn liest, als hört. Burscher — das ist nun
ein drollichter Man!
Er hält sich beinahe mit für den grösten Geist auf
Gotteserdboden,
und hat den grösten Stolz, lächerlich sein zu
können. Nämlich, wenn er
die Reformazionsgeschichte liest, so
erzält [er] gerade wie der gemeine
Man erzält; dieselben Figuren, platten Ausdrükke und
sogar dieselben
Stellungen des Körpers! Die derben Satyren des
D. Luther’s besizt
er alle im Original; diese liest er vor und sezt noch eine
Dosis von
eignem Wiz dazu. Alles läuft zu ihm; er hält sich das
für die gröste
Ere, und sieht nicht ein, daß man sich auf
Unkosten seines Verstandes
lustig macht, und daß, wer
nicht in die Komödie gehen wil, sein
Kollegium besucht und
einen — Harlekin auf dem Kateder belacht. —
Man hat ihn mit
soviel Titel belegt, daß er Mühe hat zu wissen, was
er ist; ihm
soviel Ämter gegeben, daß er die Macht hat, keines recht zu
verwalten, und soviel Verdienste in Gestalt des Sterns etc. von aussen an
gehangen, daß er inwendig keine zu haben
braucht. Eine ware Schöp
fung aus — Nichts!
Ortodox? das versteht sich von selbst, daß er’s ist:
man hätt’ ihn nicht so belont, wenn er grössern Verstand
hätte. —
Das Professorenvolk ist überhaupt das burleskeste Volk:
sie haben
Originaltorheiten, und man hat Unrecht getan, immer
den Land
geistlichen in ieder Satyre zu
züchtigen. Einen Professor nach dem
Leben zu malen! — gewis das
wäre der zweite Don Quichot, und sein
Famulus sein Sancho Pansa. —
Die Mode ist hier der Tyran, unter dem sich alles beugt; ob er wol
niemals sich selbst gleich ist. Die Stuzzer bedekken die
Strasse, bei
schönen Tagen flattern sie herum wie die
Schmetterlinge. Einer gleicht
dem andern; sie sind wie Puppen
im Marionettenspiele, und keiner hat
das Herz, Er
selbst zu sein. Das Hergen gaukelt hier von Toilette zu
Toilette, von Assemblee zu Assemblee, stielt überal ein par Torheiten
mit weg, lacht und weint, wie’s dem andern beliebt, närt die
Ge
selschaft von den Unverdaulichkeiten,
die er in einer andern ein
gesamlet hat, und
beschäftigt seinen Körper mit Essen und seine Sele
mit
Nichtstun, bis er ermüdet einschläft. Wen nicht seine Armut
zwingt, klug zu sein, der wird in Leipzig der Nar, den ich iezt ge
schildert habe. Die meisten reichen
Studenten sind dieses. —
Rousseau hat ser viel Schriften noch hinterlassen; in Manheim
drukt man seine sämtl. Werke auf Pränumerazion mit den schönen
lateinischen Lettern, mit welchen die alten Autoren
gedrukt wurden.
Ein herlicher Man! Im Original liest sich sein Emil noch einmal
so
schön; und seine Heloise, die ist zu gut, um nur gelobt zu
werden. —
Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen noch keinen Aukzionskatalog
geschikt
habe; es waren erst zwei Aukzionen und in denselben
meistens un
wichtige Bücher; nach der
Messe werd’ ich Ihnen den neusten schikken.
In diesem Jar ist ein Buch herausgekommen, betitelt: Charla
tanterien
[!], gegen welches der Kezzeralmanach
noch eine Kon
kordienformel ist. Recht wizzig ist es; es
spast mit dem ganzen A. T. Es
ist schon 3 mal aufgelegt. Wenn
ich’s zu kaufen bekommen kan, werd’
ich Ihnen es
schikken. Das ist sein Motto auf dem Titel: Wer Oren
hat zu
hören, der höre, Apokal. Wer eine Nase zu riechen, der rieche.
Von meinen Arbeiten sag’ ich iezt nichts: bis mir erst Ihre Antwort
auf diesen Brief, die Erlaubnis erteilt, den mir so nüzlichen
Brief
wechsel fortzusezzen. Sie werden
ermüdet sein von Lesen; ich schliesse,
und sage nichts mer, als
dies, daß nichts in mir die Liebe und die
Dankbarkeit auslöschen
wird, welche ich Ihrer Güte schuldig bin.
Vielleicht ist
dies mer, als wenn ich versichere, daß ich mit der grösten
Hochachtung bin
Ew. Hocherwürden Leipzig, den 17 Septemb. 1781.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_13.html)