Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Leipzig, November 1781.
Brieftext
Ich sage Ihnen für Ihren wertesten Brief, den ich erst den.. Nov.
erhielt, den wärmsten Dank; ich weis nicht, was ich Ihnen für
Ihre
fürtreflichen Anmerkungen sagen sol? Sie haben mir auf
einmal soviel
Gutes geschrieben, daß ich dadurch
wenigstens eben soviel Mitt[el
mässiges] schreiben mus. Erlauben Sie
mir also, vorher Ihren Brief,
und darauf
[?] die
An[merkungen] zu beantworten. Lassen Sie
iezt die
Geduld Ihre Fürerin sein, sonst werden Sie übel durch
diesen Brief
hindurch kommen, und machen Sie Sich dem Dinge
bekant, das man
am Hofe mit vielen Kosten kauft, und im
gemeinen Stande unter
[dem] Namen Langweile fürchtet.
Ἃ [?] ἔσχατα, πρῶτα — Ich wil beim Ende
Ihres Briefs an
fangen, und vorher mit Ihnen
über die Rechtschreibung des H’s über
einkommen. Sie geben zwei Gründe an, warum man das H behalten
sol 1) weil es in andern Wörtern vorkomt, 2) und weil es mit Ch
einerlei Beschaffenheit hat. Mir scheint beides anders zu
sein. Das H
ist nichts als die starke Adspirazion, mit der man
einen Vokal aus
spricht; es ist kein
Konsonantweil es, wider die Beschaffenheit der übrigen,
mit ieder beliebigen Modifikazion des
Sprachwerkzeugs kan ausgesprochen werden., es ist kein Vokal, sondern ein
starkes
Herausstossen des Athems vor dem Vokal. Es kan also am
Anfang
einer Sylbe, vor dem Vokal stehen; allein es kan
nicht nach dem
Vokal z. B. wie in wahr,
nah stehen, weil es nicht ausgesprochen
werden kan. Es
kan nicht nach dem Konsonanten stehen, z. B. nach
dem T. Kan
ichs aussprechen, wie die Sachsen hier [?]
scheinen zu
können, so ist das eigentlich nur die Aussprache des T im
Unterschied
von D. Das harte T mus auch hart ohne H
pronunzirt werden. Weil
es eine starke Adspirazion des Vokals
verursacht, so kan es recht gut in
den Wörtern stehen, wo zwei
Vokale durch die Abänderung des Tons
sollen verschieden
ausgesprochen werden, wie in dem von Ihnen an
gefürten Worte gehen. — Das Ch hat gar keine Änlichkeit mit
dem
H; H ist kein Teil von ihm; es ist kein
zusammengesezter Buchstabe, wie
es die falsche Bezeichnung
vermuten liesse; sondern es ist der einfache
Laut (χι). Ich
weis überhaupt nicht, warum man im Deutschen und
Lateinischen für einfache Laute
zusammen[gesezte]
Buch[staben], und
für zusammengesezte einfache wält, z. B. für φ ph,
[für] χ ch, und im
Gegenteil für ks
[und]
ts x und z u. s. w......
Sprachrichtig ist’s
nicht. Ich würde Ihnen gern den Anstos, den
meine Recht[schreibung]
Ihren Augen macht, vermindert haben, wenn ich nicht so sehr
[daran]
gewönt wäre, und oft das H auch ohne meinen Willen auslassen
würde.
Ich würde nachher hineinkorrigiren müssen — und dan
bekäme mein
Brief wieder
dies[elbe]
wid[rige] Gestalt, die ich vermeiden
wolte.
Ernesti war ein verehrungswürdiger Man, und sein Tod beklagens
wert für Teutschland. Der gröste Teil der
Leipziger Studenten
schäzzen ihn; dies bewiesen sie durch ihre zalreiche Versamlung
bei
seinem Begräbnistage. Die Krusianer sind fast mit ihrem
Stifter
verloschen; man ist im Jar 1781 zu
auf[geklärt], um ganz Krusianer zu
sein, wenigstens zu klug, um es zu sagen. Nicht ganz aber fast
eben so
ist’s mit den
Ernesti[anern]. Man hängt nur einem
grossen Manne in
seinem Leben eifrig an, und verteidigt seine Feler mit demselben
Eifer,
wie seine Tugenden; natürlich deswegen, weil es
Nuzzen für uns ist,
dem grossen Manne zum Schilde gegen die
Streiche seiner Neider zu
dienen, und Ere, sich seinen Freund zu
nennen. Mit seinem Tod stirbt
unsre Anhänglichkeit an ihm
[!]; wir loben nur
[?] das, was ieder lobt,
und verringern blos die Feler, die wir vorher noch läugneten.
Von
beiden Parteien hört man iezt wenig. Überhaupt
hab’ ich die Be
merkung gemacht, daß ein
grosser Man nicht lange leben mus, um
immer mit Rume zu leben.
Man erwartet von ihm unaufhörlich neue
Monumente seiner Grösse,
und man macht sich von ihm einen so volkom
nen Begrif, daß man seine vergangnen Taten blos für Herolde von
der Grösse der zukünftigen ansieht. Man wendet nur immer sein
Auge
vorwärts; man sieht immer das was er ist, und vergisset,
was er ge
wesen ist — man bewundert ihn
nicht mer, wenn man an ihm immer
dasselbe bewundern mus — er
überlebt sich selbstNach ihrem Tod sieht man erst zurük,
und umfast den ganzen Kreis ihrer durchlaufnen Ban; man lobt sie
vor dem Tode nicht so unumschränkt, weil man sie immer zu grössern
Taten anlokken wil, und ihr Bestreben nach grösserer 〈künftiger〉Volkommenheit nicht durch die zu grosse Erhebung der
geg[enwärtigen] verhindern wil. —. So gieng’s mit
dem grossen Young in England; und fast eben so mit dem gelerten
Ernesti in Leipzig. Vermittelst des Körpers stehen wir
mit den andern
in Verbindung; und ein grosser Geist
[vermag?] nur erst den eigent
lichen Körper, den Rum, der ihn
[in] die unaufhörliche Verbindung
mit allen Menschen sezt, dan zu erlangen, wenn er den iezzigen
ab
gelegt hat. Vergeben Sie mir diese
Anmerkungen und Ausschwei
fungen, die
die ersten sind; vergeben Sie zugleich die grosse Menge derer,
die Sie in diesem Briefe noch zu erwarten haben. — Halten Sie mich
für fähig, mit unter der Klasse derer zu stehen, die an iedem
grossen
Man die Feler aufsuchen, diese Raben des Parnasses, die
sich nur vom
As nären — diese Harpyien, die mit dem
Un[rat der] Verläumdung
iedes Verdienst beflekken? — Was Sie vom Rum sagen ist
richtig; was
ich davon gesagt habe, ist unrichtig. Ich habe nie
den Rum mit Gleich
gültigkeit angesehen,
nie ihn als ein eingebildetes Gut betrachtet —
denn was ist
warscheinlicher als daß wir in der Ewigkeit erst seine
besten
und dau[erndsten] Früchte geniessen werden?
Allein zu der Zeit,
da ich ienen Brief an Sie schrieb, war ich
gerade durch den Tod des
Ernesti’s, durch den Anblik seines
Leichenpomps und durch die Ver
gleichung seines
verg[angnen] und
gegen[wärtigen] Zustandes, in die
Lage versezt worden, iene irrige Meinung zu behaupten. qui —
Aber vielleicht schäzt man an dem sel. Ernesti mer als man schäzzen
solte. Er sprach Zizero’s Latein; aber ihm felte seine
Beredsamkeit; er
hat gute lateinische Worte, aber nicht herliche Gedanken gehabt;
er
war erstaunlich gelert, bei mittelmässigen Kräften
des Verstandes;
er hatte seinen Rum mer seinem Fleis, als
seinem Genie, mer seinem
Gedächtnis, als seinem Tiefsin zu
danken. Er war der gröste Philolog;
aber kein grosser
Philosoph. Eben dieses macht ihn vielleicht nicht
halb so gros
als einen Lessing, oder auch einen Platner. Sie wollen
mir’s zugeben, schreiben Sie, wenn ich Ihnen beweise,
daß der Mensch
im künftigen Leben seine Erdensprache nicht mer
habe. Das ist leicht
zu beweisen. 1) Wir haben denselben Körper, also dieselben
Sprachorgane nicht mer — wir müsten in die andre Welt auch
unsre
Oren mitbringen, und unsre Luft da wehen lassen. 2) Die
Möglichkeit,
andre durch Zeichen von unsern Gedanken zu
unterrichten, schränkt sich
nicht auf die Sprache allein ein;
es sind tausend Möglichkeiten, uns
den andern verständlich zu
machen — ich sehe also nicht ein, warum
wir die iezzige überal
hinsezzen wollen. 3) Das Gedächtnis fält ganz
weg. Unser Gehirn
enthält unsre ganze Sprachkentnis; mit dem Alter
wird
sie geschwächt; und wo komt die Sprache nach
[dem] Tode hin,
wo
unser Wortbehältnis Würmer dafür aufbehält? 4) Was sol dem
unsre Sprache in der andern Welt? was sollen die Benennungen der
iezzigen Dinge für die Dinge, die wir nicht kennen? Der Himmel
müste ganz alle die Geschöpfe, die Gegenstände, die
Beschaffenheit, die
Laster und Tugenden, die politische
und ph[ysische?] Beschaffenheit
unsrer Welt haben, um dort unsre Sprache zu haben. Wir werden
dort die Dinge nicht sehen, die wir hier sahen; und Dinge
sehen, die
wir hier nicht sahen; wir werden unsre alte Sprache
vergessen, und
eine neue brauchen müssen. Und was sollen denn
die Völker im
Himmel mit ihren Sprachen anfangen, die
nur ein verwirtes Getön,
ein … wie die
[!] Und warlich, wenn
[dies] auch zugestanden würde,
man würde sich gewis seiner vorigen Erdensprache schämen, man
würde ihre Mängel einsehen, und die Zeit bedauern, die durch
ihr
Studium nüzlichen Geschäften ist geraubt worden. — Was den
D.
Bahrdt anbetrift; woher
[?] seine Pension? Diese bekomt er vom
König in Preussen — seine Kollegien? sind über die alten
Autoren,
philosophische. Er schreibt nichts teologisches,
w[enigstens] nicht unter
seinem Namen; aber —
Von Rousseau. Ein gewisser Palissot, Mitglied der Geselschaft
der Wissenschaften von Nancy,
verfertigte ein Lustspiel, das er les
philosophes nante. Rousseau und einige andre Gelerte
waren darin
ser lächerlich gemacht. Sobald es der König
erfur, lies er, durch den
Grafen von Tressan, an Rousseau
schreiben und ihn versichern, daß
er gegen den Palissot ser aufgebracht sei und daß dieser, zur
Strafe,
seine Stelle als Mitglied der Geselschaft der
Wissenschaften in Nancy
verlieren solte. Rousseau antwortete dem Grafen von Tressan und
bat
für Palissot. Auf Rousseau’s Vorbitte behielte
dieser seine Stelle, aber
der König verlangte, daß die ganze
Anekdote in den Büchern der
Geselschaft der Wissenschaften
aufgezeichnet würde. Auch dieses wuste
Rousseau durch neue
Bitten abzuwenden und Palissot hatte es also
dem grossen Man,
den er beleidigt, allein zu danken, daß sein boshafter
Spot unbestraft blieb.
Prof. an der Realschule in Berlin Zierlein gab ein Buch heraus:
betitelt: Sagt
den[n] die Vernunft so gar viel von
Got. Ich
hab’ es rezensirt gelesen; man lobt es ser, weil es so
scharfsinnig, so
unparteiisch, geschrieben ist, und über
gewisse Materien Anlas zum
Zweifeln giebt. Die Existenz
der Bücher, die ich Ihnen neulich an
zeigte,
kont’ ich wissen, ohne sie in Buchdrukkereien gesehen zu haben.
Die wichtigsten Bücher werden alzeit im Meskatalog von einer Messe
zur andern angekündigt, andre in Zeitungen versprochen, und
einige
derselben wurden mir durch die Erwänung derselben von
den Pro
fessoren bekant. Eine einzige
Nachricht mus ich verbessern: Mendels
sons Schrift über
[Lessings Karakter] ist noch nicht
heraus.
Um Ihnen Platnern zu malen, müst’ ich er selbst, oder noch mer
sein. Man mus ihn hören; man mus ihn lesen, um ihn bewundern zu
können. Und dieser Man, der soviel tiefe Philosophie mit
soviel An
nemlichkeit, soviel
gesunden Menschenverstand mit so grosser Gelersam
keit, soviel Kentnis der alten Griechen mit der Kentnis der
Neuern
vereinigt, der als Philosoph, als Arzt, Aestetiker, und
Gelerter gleich
gros ist, und eben soviel Tugend als Weisheit,
eben soviel Empfind
samkeit als Tiefsin
[besizt], dieser Man ist nicht nur dem
Neide iedes
schlechten Kopfs, sondern der Verfolgung mächtiger
Dumköpfe und
der heimlichen Verläumdung ausgesezt. Er hat schon
viel Streitig
keiten gehabt; und noch
mer Feinde sich zugezogen. Er wurde einmal
vor’s Konsistorium zu
Dresden gefordert, um sich wegen der Be
schuldigung des Materialismus zu
verantworten. Wenn man ihm
etwas weniger schuld geben kan, so ist’s dieses; er ist der
erklärteste
Feind des Materialismus; man mus seine Aphorismen
nicht gelesen,
oder nicht verstanden haben, um es nicht zu wissen.
Doch es war ein
Konsistorium; und dieses hat recht, mit mer Ere
dum, und mit mer
Heiligkeit boshaft zu sein, als andre
Menschen. Er verteidigte [sich]:
er siegte über die, mit welchen zu streiten er für Schande
hielt. Kaufen
Sie sich seine philosophischen
[Aphorismen]. Sie treffen in diesen die
Leib[nizsche]
Philosophie im kernichtsten Auszug, und eine Menge
philosophischer und … Bemerkungen in gedrängter Schreibart an.
Weiter unten werd’ ich mer von Platner reden. — Die
Nachricht, die
ich Ihnen von der Heterodoxie
[und]
Or[todoxie] in Leipzig geben sol,
wird ser kurz ausfallen. Fast alle Studenten neigen sich auf
die Seite
der Heterodoxie. Man sagt’s one Scheu
öffentlich, daß die Erbsünde,
Höllenfart Christi Schimären
sind. Wenn es nicht so ganz viele Hetero
doxe unter den Studenten giebt, so giebt’s
desto mer Gleichgültige
gegen die Religion, Naturalisten und
auch Atheisten: vermutlich des
wegen, weil man dieses mit weniger Mühe,
mit weniger Kentnis der
Sp[rachen?] sein kan als ienes. Die
meisten sind nicht mer ortodox; aber
wenige sind Sozinianer im eigentlichen Sin des Worts. Ich habe
selbst bei einem Magister, der zugleich Prediger ist, gehört,
welcher
unaufhörlich [auf]
das System, auf die mystische Deutungsart der
Bibel, auf die
Alle[gorie]sucht, auf die
Anhäng[lichkeit] an alte un
ware Beweise, und auf die
Unbekantschaft mit dem Hebräischen in
der Erklärung des N. T. u. s. w. loszog. Allein demungeachtet
darf der
P[rofessor] nicht
frei eine Glaubensl[ere] leugnen; er mus
blos von der
Schwierigkeit derselben reden, und die
Entscheidung über ihren Wert
seinen Zuhörern überlassen. Der
gröste Feler, den die Freiheit des
Denkens in Sachsen
findet, ist, daß die Grossen, die A[dligen]
noch
nicht aufgeklärt sind. In Sachsen wird iedes freie Buch
konfiszirt.
Morus ist
unst[reitig] nicht ortodox. Er hat schon
viele Verfolgungen
gelitten; und eben dieses macht ihn behutsam, und hindert ihn,
seine
Meinung frei herauszusagen. Wo er ein Wunder, eine Stelle
vom
Teufel mit Recht
[?] wegerklären
[kan]; oder eine Allegorie aus dem
A. T. zu einer Akkommodazion machen; so tut er’s. In seiner
Dog
matik, die er treflich liest, trägt er
bei streitigen Punkten die Meinun
gen der
entgegengesezten Parteien vor — er überläst den Zuhörern die
Entscheidung. Und wer wolte da nicht aus der Stärke seiner Gründe
auf der einen Seite herausbringen, welches seine
w[are] Meinung
sei.
—
Erlauben Sie mir, daß ich Ihre Güte, mit welcher Sie Sich nach
meiner eignen Beschäftigung erkundigen, durch die Freimütigkeit
erwiedern darf, mit welcher ich Ihre Fragen beantworten wil.
Aber
vergeben Sie iezt den häufigen
[?] Egoism, den ich nicht vermeiden
kan. Ich habe gehört, und höre exegetische Kollegien über den
Jo
hannes bei
M[agister]
W[eber], und
[über] die
Apostel[geschichte bei]
Morus, über Logik und Metaphysik bei Platner, über Ästetik bei
dem[selben], über
Moral bei Wieland, über Geometrie [und]
Trigono
metrie bei Geler, über des Philo’s Brief an
den Kaius bei Morus, und
über die englische Sprache bei
[Hempel]. Wenn ich Ihnen sage, was
ich eigentlich
[?] studire, so werden Sie den Grund
finden w[arum] ich
gerade [?] diese Kollegien gehört habe.
Die Sprachen sind iezt meine
liebste Beschäftigung; blos
deswegen weil ich für gewisse W[erke?]
mer Liebe bekommen habe. Es wird mir schwer Ihnen gewisse Dinge
zu sagen, da sie sich one den Schein von Stolz und Pralerei
kaum
sagen lassen: aber es wird mir leicht sie zu sagen,
wenn ich mich er
innere, daß Sie mich zu gut
kennen, um da mich stolz zu ver[muten], wo
ich’s nicht sein kan, oder da zu finden, wo man’s blos zu
sein scheint.
Ich habe mir die Regel in meinen Studien gemacht,
nur das zu
treiben, was mir am angenemsten ist, für was ich am
wenigsten
ungeschikt bin, und was ich iezt schon nüzlich
finde oder halte. Ich habe
mich oft betrogen, wenn ich dieser
Regel gefolgt bin: allein ich hab’ es
nie bereut, in einen
Irtum gefallen zu sein, der................. Das
studiren, was
man nicht liebt, das heist, mit dem Ekkel, mit der Lang
weile und dem Überdrus kämpfen, um ein Gut zu erhalten, das
man
nicht begert, das heist, die Kräfte, die sich zu
etwas anderm geschaffen
fülen, umsonst an eine Sache
verschwenden, wo man nicht weit komt,
und sie der Sache
entziehen, in der man Fortgänge machen würde.
„Aber eben dadurch
verdienst du dein Brod“ [ist] der elendeste
Ein
wurf, der gemacht werden kan. Ich
wüste keine Sache in der Welt,
durch welche man sich nicht Brod
erwerben könte. Ich wil das ver
schweigen,
daß der nie weit komt, der sich in seinen Studien blos die
Erwerbung eines notwendigen Bedürfnisses zum Endzwek sezt —
„allein in dem einen mer, in dem andern weniger!“ Dies zugegeben; so
weis ich nicht, ob ich in dem mein Brod erwerben werde, wozu ich
keine
Kräfte füle, keine Lust empfinde, und in welchem ich also
nur wenig [?]
Fortgänge mache, oder in dem, in welchem mich mein Vergnügen
anspornt,
[mir] meine Kräfte forthelfen........ —
Man mus ganz
für eine Wissenschaft leben, ihr iede Kraft, iedes
Vergnügen, ieden
Augenblik aufopfern, und sich mit den andern
nur deswegen be
schäftigen, insofern sie der
unsrigen einen Fortgang verschaffen. Und
entgeht mir durch die
sond[erbare] Verwiklung von äussern
Um
ständen der unbedeutende
Nuzzen, der iedem schlechten Kopf sein Ziel
ist, so wird mir
das warlich dadurch wieder zehnfach ersezt, daß ich in
der
Betreibung meiner Wissenschaft die Selenwollust geniesse, die
[aus] ieder Beschäftigung mit Warheiten
quilt, den Reiz empfinde,
den für mich iede Äusserung meiner
Kräfte hat, und vielleicht auch die
Ere geniesse, die
ihm über kurz oder lang zu teil wird. Dies ist meine
Verteidigung. Sonst las ich blos philosophische Schriften; iezt noch
lieber wizzige, beredte, bilderreiche. Ich trieb sonst die
französische
Sprache noch [?]
nicht; iezt les’ ich die französischen Bücher lieber als
deutsche Bücher. Der Wiz eines Voltaires, die Beredsamkeit
eines
Rousseaus, der prächtige Stil eines Helvezius, die
feinen Bemer
kungen eines Toussaint’s — alles dieses
treibt mich zum Studium der
französischen Sprache. Ich glaube nicht, daß ich lerne; sondern
nur,
daß ich mich vergnüge; mit den Eindrükken der schönen
Sentenzen [?],
der
wizzigen Einfälle, u. s. w. bleibt auch zugleich die Erinnerung von
der Art, wie sie ausgedrukt
[!] wurden, zurük. Ich las den Pope; er
entzükt mich; eben so der Young. Er ist
unf[elbar] in der englischen
Sprache noch viel herlicher. Ich lerne sie iezt; und
vorz[üglich] um die
vortrefliche Wochenschrift den Zuschauer zu lesen, von der wir im
Deutschen eine elende Übersezzung haben. Die Beredsamkeit des
Rousseau entzükt mich; ich fand sie im Zizero und
Seneka — ich liebe
diese beiden iezt über alles und gäbe ihre Lektüre um keines
der besten
deutschen Bücher. Die
nach[geamten?] Satiren eines Popes
reissen
mich hin; ich fand
[sie] im
Orig[inal], im Horaz noch schöner; seine
Kritik der Vernunft ist ein
Meister[werk]; Horaz de arte poetica eben
so. Jezt lieb’ ich die lateinischen Autoren; ich habe das dumme
Vor
urteil faren gelassen, von welchem ich
durch eine ser schlechte Inf[or
mazion] von meinem lateinischen
Lermeister bin angestekt worden.
Lassen Sie mich hier eine kleine Ausschweifung über das Lesen
der
alten Autoren in den Schulen machen. Was ich sage, kan
falsch sein;
allein bei mir war es war. Um einen alten Autor nachzuamen, um
ihn schön zu finden, um ihn zu lieben und sich mit ihm zu
beschäftigen,
mus man Geschmak haben.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_17.html)