Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Leipzig, 8. März 1782.
Brieftext
Hocherwürdiger und hochgelerter Herr,
Hochzuvererender Herr Pfarrer!
Ich wag’ es kaum, mich bei Denenselben zu entschuldigen — soviel
hab’ ich zu entschuldigen! Ihnen nicht nur keine Briefe zu
schreiben,
sondern auch keine zu beantworten — Sie in der
Ungewisheit über
das Schiksal Ihres Schreibens, in Furcht wegen
der Folgen desselben,
und in der warscheinlichen Meinung meiner
Unhöflichkeit und Un
dankbarkeit zu lassen —
gewis dieses hätten Sie nie von mir erwartet,
wenn es
nicht geschehen wäre; allein dieses hätt’ ich auch nie getan,
wenn ich nicht gemust hätte. Das Folgende meines Briefs wird dieses
deutlicher machen, und das beiliegende Paket wird es
beweisen.
Ich hab’ Ihr erstes gütiges Schreiben, das Sie vom 23. September
datirten, zu Anfang des Novembers erhalten. Den 7. Oktober schikt’
ich Ihnen einen Brief mit einem Aukzionskatalog. Vielleicht
haben
Sie diesen gar nicht bekommen, so wie ich den Ihrigen
spät bekommen
habe. Auch Ihre vortrefliche Anmerkungen hab’ ich
erhalten, die mir
eben soviel Vergnügen als Ihnen Sorge gemacht
haben. Gewis ich
würd’ es ser bedauert haben, wenn sie nicht in
meine Hände gekommen
wären; aber ich würd’ es noch
unendlich mer bedauert haben, wenn
Sie dafür in die Hände der
orthodoxen Henker gekommen wären. Ich
hab’ Ihnen nun die Sorge in Rüksicht Ihrer benommen; möcht’ ich
Ihnen doch auch den Verdacht in Rüksicht meiner benemen
können!
Ich hatte neulich schon drei Bögen von meiner Antwort
auf Ihr
voriges Schreiben verfertigt — Und doch felte
noch die Helfte meiner
Antwort, noch die Neuigkeiten, die ich
gesamlet hatte, noch die Gegen
anmerkungen,
mit denen ich Sie belästigen wolte. Aber Geschäfte
häuften sich
an Geschäfte, um mir das Vergnügen, an Sie zu schreiben,
zu
rauben, und Ihnen die Langweile, mich zu lesen, zu ersparen. Und dies
waren solche Geschäfte, die meine ordentlichen hinderten. Sie
wissen
vielleicht, daß ich arm bin; aber dies wissen Sie
vielleicht nicht, daß
man mir meine Armut nicht erleichtert. Man
mus vorher einem
Gönner durch Geld zu verstehen geben, daß man
Geld brauche; d. h.
man mus nicht arm sein, wenn man reich
werden wil. Dieses fält
bei mir weg; und kein Verteiler
fremder Woltaten achtet mich für
bedürftig genug, mir das
Fremde zu schenken, weil ich ihm das Meinige
nicht schenken
kan. Noch obendrein hat mir Got 4 Füsse versagt, mit
welchen
man sich den gnädigen Blik eines Gönners und etliche Bro
samen von seinem Überflus erkriechen kan. Ich kan weder ein
falscher
Schmeichler, noch ein modischer Nar sein, und
weder durch die Beweg
lichkeit meiner Zunge
noch meines Rükkens Freunde gewinnen.
Sezzen Sie noch hinzu,
daß die meisten Professoren, weder Zeit, noch
Gelegenheit,
weder den Willen noch das Vermögen zu helfen haben;
daß der
Zugang zu ihnen durch die Menge derer, die schmeicheln oder
betrügen, denen unmöglich gemacht wird, die keines von beiden
tun
wollen; daß es Stolz verraten würde, wenn man nach der
Gelegenheit
haschen wolte, ihnen eine gute Seite zu zeigen —
Denken Sie sich dies
alles zusammen, so wissen Sie meine Lage;
aber Sie wissen noch nicht,
wie ich sie verbessere. Es fiel mir
einmal ein, so zu denken: „ich wil
„Bücher schreiben,
um Bücher kaufen zu können; ich wil das Publikum
„beleren,
(erlauben Sie diesen falschen Ausdruk wegen der Antitese)
„um
auf der Akademie lernen zu können; ich wil den Endzwek zum
„Mittel machen und die Pferde hinter den Wagen spannen, um aus
„dem bösen Holwege zu kommen!“ Ich änderte nun die Art meines
Studirens; ich las wizzige Schriftsteller, den Seneka, den
Ovid, den
Pope, den Young, den Swift, den Voltaire, den Rousseau, den
Boileau, und was weis ich alles? — Erasmus
encomium moriae
brachte mich auf den Einfal, die Dumheit zu loben. Ich fieng
an; ich
verbesserte; ich fand da Hindernisse, wo ich sie nicht suchte,
und da keine,
wo ich sie erwartete; und endigte an dem
Tage, wo ich Ihren schäzbaren
Brief bekam. Sie werden denken
„wunderbar!“ wenn Sie nicht
denken „töricht!“ Hier haben Sie
meinen Versuch, den Versuch eines
neunzeniärigen Menschen. Ein
Professor, dem ich dieses Schrif[t]gen
durch eine dritte Person in die Hand spielte, versagte mir nicht
ganz
seinen Beifal; aber darf ich auch auf den Ihrigen hoffen?
Vielleicht
machen Sie folgende Rezension vom Lobe der Dumheit:
„Der Ver
„fasser kan sich ser leicht an
die Stelle der Dumheit sezzen — man
„glaubt sie selbst reden zu
hören — gewis die Gotheit hat ihn begeistert,
„die er gelobt
hat.“ — Verzeihen Sie, daß ich Ihnen so ein durch
strichnes, unleserliches und unkorrigirtes Manuskript
geschikt habe.
Ich hatte zu wenig Zeit, es nochmals
abzuschreiben. Ich werde Ihnen
den grösten Dank
abstatten, wenn Sie mir, eh’ ich das Manuskript
dem Verleger
überlasse, einige Nachricht in Ansehung des Werts
desselben,
des Akkords mit dem Verleger, u. s. w. erteilen, und noch mer,
wenn Sie mir die auffallendsten Feler desselben anzeigen. — Doch genug
von der Sache: sonst schreib’ ich einen schlechten Brief über
ein
schlechtes Buch.
Wenn ich zu Ostern das Vergnügen haben werde, Sie zu sprechen:
so werd’ ich Ihnen alles das sagen, was mir weder der Raum noch die
Zeit erlaubt zu schreiben. Ich habe 2 Avertissements beigelegt.
Wenn
Sie die neue Gotaische Ausgabe der voltairischen Werke für
30 rtl.
wünschen, so brauchen Sie nur zu pränumeriren — wenn Sie
aber die
prächtige Pariser Ausgabe derselben für ½ rtl.
wünschen, so brauchen
Sie nur in die Lotterie zu sezzen. Bis zu Ostern steht die
Pränumerazion
auf iene offen. —
Ich hoffe, noch einen Brief von Ihnen vor meiner Abreise zu
erhalten. Der meinige ist schlechter als alle meine schlechten —
denn
wirklich schon die zweite oder dritte Zeile ist falsch.
Sie werden den
Schlaf, der in meinen Augen ist, durch die Post
in die Ihrigen
bekommen. Ich habe Ihnen geschwind geantwortet,
und schlecht geant
wortet. Sie werden vor
Ungeduld und Langweile nichts mer wünschen,
als daß ich
mich nenne
Ew. Hocherwürden Leipzig den 8ten März 1782.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_20.html)