Von Jean Paul an Albrecht, Christian und Christoph Otto. Hof, 14. Juni 1789.

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Brieftext

[ Hof, 14. Juni 1789. Sonntag ]

[In ein Exemplar der „Auswahl aus des Teufels Papieren“]
Dedikazion
An die drei Herren Otto.
Liebe Freunde

Ich habe mich drei Jahre auf diese rothe Dedikazion gefreuet und
auf iedem Wege nach Töpen etwas daran ausgefertigt; denn in

Töpen selbst hatte blos der Teufel sein schriftstellerisches Spiel — und
sein ökonomisches auch. Heut am 14. Junius ist aber der Tag, wo es
mit der Dedikazion wahrer Ernst werden sol. Denn es ist schon alles
dazu da — H. Neitsch hat schon die 2 rothen Blätter eingeheftet und
dabei (ich mus mich darüber wundern) gar nicht daran gedacht, daß
auf rothem Papier sonst die wichtigsten kaiserlichen Diplome und
im heurigen Junius die wichtigsten Dedikazionen niedergeschrieben
werden und daß gleichwol diese Anspielung nicht des Papiers wegen,
sondern das Papier der Anspielung wegen da stehe — es ist mehr da,
es sind schon die 38 schlecht gedrukte Bögen zur Unterlage des viertels
rothen da — ich selber size schon da und habe Kaffee getrunken und kan
stündlich anfangen — und thats fast schon. Wie kursorisch ist des
Menschen Freude! Wenn ich noch 3 Seitenlang werde herumdedizirt
haben: so wird die meinige vorüber und nichts mehr da sein als die
ungedrukte Zueignungsschrift! —

Eine ausserhöfische Person bestelte sich vor vielen Jahren (mit
völligem Beifal ihres Mannes) ihre Kadaver-Klause oder ihren
Mumienkasten und ihre Leichenpredigt voraus, wiewol die Klausnerin
oder der lebendige Kubikinhalt des Sarges noch herumschreitet und
mit keinen andern Geistern Umgang hat als mit abgezognen und
am Ende mit ihrer Grösse in nichts hineinpassen wird als in die
Leichenpredigt. Närrischerweise lies ich mir auch eine vorausmachen;
es weis es aber niemand als der hiesige ** Prediger und bei meinem
Leichenbegängnis werden Sie sie hören und iezt in dieser Dedikazion
lesen. Denn das homiletische Sparwerk dazu nagelte ich selbst zu
sammen. Der Pfarrer mus erstlich im Exordio anmerken und auch
erhärten, daß es 2 Sortiments von Menschen giebt, lebende und
todte — dadurch bahnt er sich spielend und fast ohne Nachdenken die
2 Übergänge zu mir und zur Proposizion. Das Hauptthema handelt
vernünftig die algemeine Pflicht des Christen durch, Dedikazionen zu
machen. Die 2 Redetheile haben eine solche Amts-, Waffen- und
Zwillingsbrüderschaft mit einander getrunken und lieben dermassen
einander, daß ieder nichts singen und sagen wil als was der andere
singt und sagt. Beide Theile definiren einen Dedikator gut genug und
nach dem Baron Wolf — sie sagens dem ganzen Leichenbegängnis
deutlich, ein passabler und heuriger Dedikator ist und bleibt ein
Wesen, von dem man vor und nach dem Tode Realdefinizionen
liefert — das ein Buch schreibt und vorn dran eine Art Zueignungs
schrift auf rothem Grunde — das freilich noch früher Freunde hat,
die es ihrer Liebe für dasselbe auf keine bessere Weise zu versichern wissen
als durch blosse Thaten — das aber sie der seinigen auf eine viel bessere
Weise versichert, durch Worte, die eben eine Dedikazion formiren —
das bei solchen Dedikazions-Obiekten täglich Siz aber nicht Stimme
hat, weil es sich die leztere meistens durch fleissige anatomische Sekzionen
der Sauerbraten benimt — das dort aber auch noch andere Dinge
isset, welche auf dem Altar weitläuftig abzulesen zu spashaft sei — und
das gleichwol am Ende sein eignes erlebe und versterbe.....

Hier mus nun mit Gewalt der usus epanorthoticus anlanden, der
meinen Kadaver mit Namen anschreiet. Ich nöthige den Pfarrer und
den usus so zu sagen: „Und ein solcher ist unser eingesargte sel. Mit
„bruder vor dem Altar, der stets dedizirte. Hier mus ich sein Lebens
curriculum liefern, das er dem Konsistorio nicht lateinisch schikte
„aber auch nicht deutsch: und ieder gegenwärtige schwärzliche Christ
„springe nachher in dessen breite Fusstapfen hinein. Seze dich halb in
„deinem Sarge in die Höhe, seeliger Dedikator, und sage hier sämt
„lichem ansehnlichen Leichenkondukt selbst, daß du einmal an einem
„Sontage mit der linken Hand dein rechtes Ohr, das noch hört, vor
„dem Kriegs- und Feldgeschrei zweier nachbarlicher Eheleute zu
„spündetest, um mit der rechten eine lange Dedikazion an die H. Otto
„hinzuschreiben .. Seze dich halb in die Höhe......“ Und wenn ich
blos im hypochondrischen Scheintode, wo man mit seinem rechten
Ohre noch hört, auf der Baare liege: so werd’ ich mich wirklich halb
in die Höhe sezen und im orientalischen Leichentracht zum erstenmal
vor einer ganzen Kirche, Sie zum zweiten und die andern zum ersten
male versichern, daß ich mit gefühlter Hochachtung und Liebe immer
bleibe


Ihr Freund
Richter.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin acc. ms. 1912. 4. S. 8°, rosa Papier. 264,10 sein eignes] aus das seinige

H war offenbar vorne in ein Exemplar der Teufels-Papiere eingeheftet. 263, 4 Neitsch: Buchbinder in Hof, vgl. Weißmann Nr. 5564ff. 10 38 Bögen: s. zu Nr. 262. 35 Baron Wolf: der Philosoph Chr. Wolff (1679—1754) war 1745 vom Kurfürsten von Bayern in den Reichsfreiherrnstand erhoben worden; vgl. 296, 30. 264, 11ff. Vgl. die Groteske „Meine lebendige Begrabung“ (II. Abt., III, 280—290). 26 im Leichentracht: Tracht als masc. kommt nur vereinzelt vor; auch Jean Paul braucht das Wort sonst weiblich, vgl. 269,1 .

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_267.html)