Von Jean Paul an Johann Georg Gottfried Doppelmaier. Leipzig, 14. April 1783.
Brieftext
Sie gaben Ihrem Briefe keine Aufschrift; dadurch erteilen Sie mir
das Recht, den meinigen mit dieser zu zieren — Sie nennen mich
keinen Hochgeerten Hern; darum nenne ich Sie meinen Freund
und
schreibe Ihnen in einem andern Tone als dem Ton der
Höflich
keit, die gleich den Schlangen
zwar geschmeidig aber eben so kalt ist.
Doch eh’ ich
weiter geh’, mus ich einen Argwon heben, zu welchem
Sie die
Schreibart meiner Briefe vielleicht berechtigen könte. Meine
Schriftstellerei hat meine Gedanken 〈meine Sprache〉 einmal an
Wendungen gewönt, deren Gezwungenheit sich mit Wärme des
Herzens wenig zu vertragen 〈so ser zu streiten〉 scheint. Antitesen und
Gleichnisse sind nun in meinem Gehirn eingewurzelt, daß sie
selbst
meinen Träumen anhängen, selbst die Sprache meines
Herzens mit
Gallizismen verunstalten. — Wenn ich daher nicht so
warm schreibe als
ich füle, wenn die Ergiessungen des Herzens auf ihrem Wege
durch den
Kopf an Wärme verlieren, so wissen
[Sie] meine Ursache. Warum
felt mir doch die simple Natursprache des einzigen, guten,
teuren [?]
Rousseau, um Ihnen zu sagen, daß Sie mein Herz ganz haben, daß
Ihre Antwort meine Hofnung übertroffen, daß ich gewis überzeugt
bin, wenn Sie — O ihr neuen, empfindlichen Gekken der
Deutschen, die
ihr mit dem Mädgen weint, um mit ihm zu huren, und mit dem
Freunde,
um in etlichen Minuten zu zanken, warum raubt
ihr andern, deren
Herz Empfindungen nicht nachäffet aber fült,
durch die Torheit [?]
den Mut, eine gemisgebrauchte
[!] Sprache zu reden. Mein Freund,
man hat der erkünstelten Tränen soviel vergossen, daß man sich
der
waren schämt, und die Empfindsamkeit scheint in
Gefüllosigkeit aus
zuarten
〈überzugehen〉.
Sie sind nicht nur mein Freund, sondern Sie waren es auch. —
Meinem Vergnügen über Ihres gleicht nichts als der Anteil, den ich
an Ihrem Schmerze über die Undankbarkeit Ihres Vaterlands neme.
Mir ist immer (um offenherzig zu sein) das Sonderbare Ihres
Schiksals aufgefallen — die Natur, die bei Ihnen weder Kopf noch
Herz vergas, vergas beides bei denen, mit denen Sie
leben. Dieses
Land verdient, daß Sie es verlassen; und Sie
verdienen, daß Sie ein
zehnmal besseres finden, ein Land, wo Sie
der Priester nicht verfolgt,
und der Arzt 〈die Kollegen〉 nicht
beneidet; wo Ihren Kopf ein
Gönner belont und Ihr Herz ein
Freund liebt, der Ihrer Freundin
gleicht. Ich bin von der Warheit Ihrer Gründe für Ihre
Absicht so
ser überzeuget, — Übrigens halt’ ich von der Liebe
zum Vaterland
nicht viel. Die Teologen erweisen die
Gleichgültigkeit des Orts, wo
man begraben wird, durch die
Floskel: „die Erde ist des Hern“; ich
möchte dieses auf den Ort
anwenden, wo man geboren wird. Warum
sol denn dies
Stükgen Welt, über das mich meine Mutter 9 Monate
als Embryon herumgetragen, mer Liebe verdienen, als der Flek,
den
ich viele Jare mit gewichsten Stiefeln betreten? Warum sol
mir die
Kindheit einen Aufenthalt mer veredeln als das mänliche
Alter? Sol
die Vaterlandsliebe unsern Freunden und Anverwandten
gewidmet
sein; so ist iedes Land mein Vaterland: denn
überal findet man Freunde,
oft merere und bessere, als man
verläst. Auch müste sonach unsre
Vaterlandsliebe auswandern
oder sterben, wenn unsre Freunde aus
wandern
oder sterben. Sie ist eine Sonne, deren Stralen der un
wissende Barbar anbetet, und der Professor der Optik
zerspält.
Klopfstok
[!] mag allenfalls die Vaterlandsliebe
besingen, und ein
Schweizer sie hegen. Auch ists eine bekante Bemerkung, daß die
Liebe
eines Lands sich wenig mit seiner Aufklärung vertrage, und daß
—
Ich werde nie ein Opfer und Bewoner des meinigen werden.
Vor
züglich, da ich weder Teologie studire und
keines Amts fähig bin; solten
aber in der weiten Welt
meiner satirischen Geisel törichte Rükken
felen, so würd’ ich
auf Extrapost in mein geliebtes Vaterland hin
eilen. — Eben diese Untreue an der Teologie macht mich unfähig, Ihr
überaus gütiges Anerbieten zu etwas zu benüzen als zur Vermerung
meiner Dankbarkeit.
Entschuldigen Sie beim Pfarrer in Rehau mein Stilschweigen
[da
mit], womit ich die
Feler dieses Briefes entschuldigen mus, mit der
Verfertigung
meines Buchs nämlich, das allen andern Geschäften
Zeit und Kräfte wegfrist, um in 12
[?] Monaten 14 Bogen dikker zu
werden. Man mus hierin die Frauen nachamen, die sich in den Be
schwerlichkeiten der Schwangerschaft und
Geburt mit der Hofnung
auf die Schwelgerei im Kindbet trösten.
Hier würd’ ich meinen Brief, der so ler wie der Kopf und der
Beutel eines Poeten ist, schliessen, wenn Sie den Ihrigen nicht so
angenem geschlossen hätten. One einen schwedenborgischen Traum
bei den Lokken herzuziehen etc. bitt’ ich Sie, mich Ihrer
vortreflichen
Freundin mit aller der Wärme zu empfelen, mit der
Sie sie lieben und
ich sie verere. Zu diesem allem wolt’ ich noch
hinzusezen, daß Sie nun
in demselben Zimmer eine vortrefliche
Lobrede und eine schlechte
Satire auf das schöne Geschlecht
besizen — daß ferner die Mytologie
eine himlische und dan eine
irdische Venus kent, davon die leztere in
Leipzig von 1000 Priesterinnen angebetet wird, die man nicht
Weiber
sondern Damen nent, und davon die erstere nur Eine —
doch dies alles
mag ich nicht hinzusezen, weil Voltaire sagt,
man mus nicht iede
Warheit sagen. — Ungeachtet Ihnen mein Buch schon einige
[Lang
weile] macht, so wil
ich Ihnen doch nächstens mit einem andern Briefe
noch einige
machen. etc.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_38.html)