Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Leipzig, 1. Mai 1783.
Brieftext
Geliebtester Freund,
Vergeben Sie mir diese Aufschrift: denn ich vergebe Ihnen dafür
die Ihrige „Hochedelgeborner Herr“.
Zizero gab einmal auf die Frage „welche Rede des Demosthenes
die schönste sei“ zur Antwort „die längste“ — Ergo ist Ihr lezter Brief
Ihr bester;
doch können Sie sich in Zukunft noch übertreffen. Für
einen
langen Brief weis ich Sie nicht besser zu belonen als mit einem
kurzen. Eine andre Ursache meiner Kürze werden Sie weiter unten
erfaren. Noch ein Bonmot, das aber nicht hieher gehört: Je vous
écris une longue lettre,
schrieb Boileau an einen Freund, parce qu’il
me manque le tems de la faire courte. — Die Warheit
befielt mir
iezt, Ihren Brief zu loben; allein ich gehorche ihr
nicht, weil Sie mein
Buch zu ser lobten. Warum vergassen Sie,
daß derselbe Weihrauch,
in dem sich die Nase so wollüstig berauscht, um die Augen
Wolken
zieht? Doch Ihrem Urteil über mein Buch felet noch die
andre Hälfte,
der Tadel; Sie schikten das Silber nur früher als
die Pillen und der
Essigdampf, welcher wolriecht, kam ein wenig
eher an als der Essig,
welcher beist. Ihre Rezension braucht
übrigens Ihren schwarzen Rok
nicht zum Advokaten; aber der
schwarze Rok braucht die Rezension
dazu. Mir fält hier der
Juwelirer ein, welcher den Diamant in einem
Gehäuse von
schwarzem Samt vorzeigt, um die Stralen desselben
durch den
Kontrast zu verdoppeln. Sie hüten Ihre wollichte Herde auf
dem
Rükken des geistlichen Weinbergs, aber Sie strikken dabei Bücher
— auch Apollo hütete einmal eine Herde, die aber nicht Christo
sondern
dem Admet angehörte..... Die Skizzen haben vom Lobe der
Dum
heit, wie mich dünkt, kaum etliche Bogen
geerbt und auf dem Grabe
meines Abortus keimten nur einige
Nesseln aus seinem Moder auf; die
Satire über die Theologen,
welche nebst der über den Anenstolz die
schlech[te]ste ist, hat das meiste, und
die Satire über die Schriftsteller,
welche die erträglichste
ist, das wenigste daraus geborgt. — Das
Motto bezieht sich
weniger auf meine Satiren als auf meine Den
kungsart; auch nam ich es mer wegen seiner Schönheit als seiner An
gemessenheit.
Von mir dürfen Sie nicht die Definizion, aber wol die Ausübung
der Dankbarkeit fordern; allein die Gütigkeit kan ich blos definiren und
Sie nur können sie ausüben. Definit: bonitas
est habitus, (uti docet
quoque Wolf) secundum quem aliquis
alicui epistolas scribit
multas.
Den felerhaften Egoismus in meinen Briefen müssen Sie auf die
Rechnung Ihrer Fragen schreiben, die nur mich betreffen. Den Plan
meines Lebens wollen Sie wissen? das Schiksal wird ihn erst
ent
werfen; mit meinen Aussichten
verträgt sich keiner und ich schwimme
auf dem Zufalle one
Steuerruder herum, wiewol darum nicht one
Segel. Ich
bin kein Theolog mer; ich treibe keine einzige Wissenschaft
ex professo, und alle nur insofern als sie mich ergözen oder
in meine
Schriftstellerei einschlagen; und selbst die
Philosophie ist mir gleich
gültig, seitdem
ich an allem zweifle. Aber mein Herz ist mir hier so vol!
so
vol! daß ich schweige. In künftigen Briefen, auf die ich merere Zeit
wenden kan, wil ich Ihnen viel vom Skeptizismus und von meinem
Ekel an der tollen Maskerade und Harlekinade, die man Leben
nent,
schreiben. Ich lache iezt soviel, daß ich zu denken kaum
Zeit habe, ich
übe mein Zwergfel auf Kosten meines Gehirns und
meine Zäne ver
lernen über das Beissen das
Käuen.
Meine Skizzen haben mir 96 rtl. eingetragen. Den zweiten Teil
werd’ ich teurer verkaufen. Er wird stärker und gewis besser als
der
erste ausfallen. Wie ser ich von der Menge der Feler
des ersten Teils
überzeugt bin, kan ich Ihnen nicht
nachdrüklicher beweisen, als wenn ich
ihrer im zweiten weniger
mache. Diese Beschäftigung ist Ursache an
meinem Stilschweigen
auf Ihren schönen Brief und an der Kürze und
Felerhaftigkeit des
gegenwärtigen. Vielleicht hält mich dieses dennoch
nicht
ab, zu Pfingsten in Hof, und was für mich das angenemste ist
auch in Rehau zu sein.
Befürchten Sie für Ihr Kind von der berlinischen Badwanne nichts!
man hätte ia sonst meines im ersten Bad ersäuft. In Berlin
passirt
iedes Buch die Zensur, wär’ es auch so gut, wie das
Ihrige; hier
kaum eines, das so schlecht ist wie das meinige.
Hier folgt ein Katalogus von einer schäzbaren Büchersamlung.
Solte meine Abwesenheit in die Zeit der Veraukzionirung fallen, so
werd’ ich Ihre Aufträge schon durch einen guten Freund besorgen
lassen. Eh’ Sie mir in Ihrem künftigen Briefe danken, daß ich
Ihnen
den Katalogus geschikt, so zanken Sie mich vorher
aus, daß ich Ihnen
die vorhergehenden nicht geschikt; aber
Ihren Dank verdien’ ich
weniger als Ihren Unwillen. Sie gaben
mir sonst Bücher; und ich geb’
Ihnen dafür nur Verzeichnisse
derselben.
Ihre lieben Kleinen werden, hoff’ ich, die Blattern überwunden
haben. Ich fürchte nicht, daß diese Stelle meines Briefs
in Ihrem
Herzen auf eine Wunde trift, an der die Zeit noch
heilt. — Sagen Sie
Ihrer Gattin meine Empfelung mit einem
Kus.
Ich schliesse. Antworten Sie bald; ich möchte Sie noch einmal lesen
eh’ ich Sie sehe. Leben Sie wol! Ich weis nicht warum ich so
weh
mütig werde, daß ich weinen
möchte. O! man weint nie angenemer,
als wenn man nicht weis
warum........... Lieben Sie
Ihren Leipzig den 1. Mai. 1783.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_39.html)