Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Hof, 15. Juni 1783.

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Brieftext


P. P.
Hochzuvererender Herr Pfarrer!

Ich danke Ihnen für die Bücher, die ich hier zurüksende, und für
Ihre neuliche Geselschaft, deren Genus nur immer die so oft unter
brachen, die Ihnen so wenig gleichen. Ihre zwergartigen Bücher
hab’ ich schon aufgezeret und mich daran für neue hungrig gelesen —
den Balzak ausgenommen, dessen Lesung nicht die Menge, sondern die
Kleinheit und Einförmigkeit seiner Schönheiten nicht selten verleidet.
Die Titel derer, um die ich Sie bitte, heissen:


  • Zweiter Teil des La Bruyere.

  • Hirschfeld von den geselschaftlichen Tugenden.

  • Fueßlin’s Kirchen- und Kezerhistorie.

  • Pope’s Werke, fünfter Teil.
  • Wäre Pope französisch geschrieben und felte mir ein Lexikon in
    derselben Sprache: so würd’ ich meine Bitte um ein Lexikon in das
    Gleichnis einkleiden: ein deutscher Schlüssel sperret kein französisches
    Schlos. Allein da er englisch geschrieben, so mus ich Ihnen blos in
    simpeln Deutsche sagen, daß mir zur Lesung desselben mein Lexikon

    felet, das ich [in] Leipzig gelassen. Könten Sie das Ihrige auf einige
    Zeit entberen, so würd’ ich Sie darum bitten. Im entgegengesezten
    Falle bitte ich Sie um Schönfeld’s Landwirtschaft, austat um
    den Pope. — — Die abscheuliche Gestalt dieses Wechselbalges von
    Brief rechnen Sie einer Reise auf etliche Stunden, an; der Apollo
    wirft auf die Gasse zuviele Stralen, um welche meinem Kopfe mit
    zuteilen d. h. das schöne Wetter verursacht diesen schlechten Brief.
    — Haben Sie schon Bücher aus dem Aukzionskatalogus sich aus
    gezeichnet? — Hier folgt auch ein Teil meiner Exzerpten, dessen Inhalt
    Sie im Register übersehen können. Sie werden finden, daß Young nicht
    blos weinen, sondern auch lachen kan, und daß er mit seinem Flügel
    eben so gut verwundet als fliegt. — Ich dankte Ihnen oben für Selen
    speise; hier unten mus ich auch Ihrer Gattin für die leibliche Speise
    danken. Sie speiset ihre Freunde so gut, als Sie einmal das Publikum
    speisen werden. — Der enge Raum befielt mir, Ihnen nicht mer Lang
    weile zu machen sondern gleich zu versichern daß ich bin


    Ihr Hof den [15.] Junius 1783.
    warmer Freund J. P. F. Richter

    N. S. Das Postskript ist dem Briefe das, was die Doxologie, die
    Luther als Mönch nicht betete, dem Vaterunser ist. — Ich erinnere
    mich noch Ihrer Exzerpten, aus denen Sie mir einmal vorgelesen.
    Sie sehen, was für ein Vielfras ich bin; sogar nach Ihrer Bibliothek
    in nuce, nach wizigen Quintessenzen lange ich. etc.

    Textgrundlage

    Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956.

    Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

    H: Brit. Museum. 1 S. 2°; Adresse auf der Rücks.: Herrn Herrn S. T. Vogel in Rehau. K (anfangs Konzept; begonnen vor, Schluß nach Nr. 45): 11. An Pf[arrer] in Rehau Vogel. [am Schluß:] Den 16 [!] Jun. J: Nachlaß 3,227. A: IV. Abt., I, Nr. 15. In K geht folgender, z. T. in Nr. 47 verwendeter Anfang eingeklammert voraus (anfangs mit weiten Zeilenabständen, wohl zur Aufnahme von Korrekturen oder Ergänzungen): Nichts ist schwerer als einen Brief anfangen; nichts leichter, als ihn endigen und den „gehorsamen Diener und Freund“ an eine Pointe anspiesen. Zur Verschönerung des Degengefässes gehört Silber und Kunst; allein zur Bildung der Spize desselben blos Stal und ein schlechter Schleifstein. Doch Balzak’s Briefe sind, wie manche Federmesser, hinten und fornen mit Pointen versehen. Die Verlegenheit, einen Anfang zu finden, gebar diese Abhandlung über den Anfang der Briefe. Eigentlich hätte ich mit dem Danke für das, was ich Ihnen wieder zurükschikke, anfangen sollen. 73 , 24 den Balzak ausgenommen] Nur aus dem Balzak hab’ ich, wie meine Brüder aus dem ungebaknen Kuchen, blos einige Rosinen genascht. K 35 simpeln] aus simpelm H 74 , 21 Luter K

    H gibt den Monatstag nicht an; der von K (16.) kann nicht stimmen, da A an Trinitatis, d. i. 15. Juni 1783, geschrieben ist. Vogel antwortete in der Regel am Tage des Empfangs; der Bote, meist ein Bruder Jean Pauls, der Brief und Bücher brachte, nahm gleich Antwort und Bücher wieder mit. 73, 24 Balzac: Lettres, Paris 1624. 28 C. C. Hirschfeld, „Betrachtungen über die heroischen Tugenden“, Kiel 1770; oder ist dessen Schrift „Von der Gastfreundschaft“, Leipzig 1777, gemeint? 29 Joh. Konrad Füssli, „Neue und unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie der mittleren Zeit“, 3 Teile, Frankfurt u. Leipzig 1770—74. 74, 3 Joh. Gottlieb von Schönfeld, „Die Landwirtschaft und deren Verbesserung“, Leipzig 1773. 9 ein Teil meiner Exzerpten: wahrscheinlich das Heft „Schöne Wissenschaften, 1. Band“, worin Auszüge aus Youngs Nachtgedanken und Satiren.

    How to cite

    Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_46.html)