Von Jean Paul an Johann Adam Lorenz von Oerthel. Hof, 17. Juni 1783.
Brieftext
Lieber Örthel,
Da mir nicht gleich ein Anfang zu diesem Brief einfält, so wil ich
von den Anfängen der Briefe überhaupt reden. Lessing sagt „man
spricht am meisten von der Tugend, wenn man sie nicht hat“ ich
rede
vom Anfange, weil ich keinen habe. „Ihr lügt
solange bis ihr warredet“
sagte Heinrich der ote in deinem Kollektaneenbuch; ich hingegen habe
solange im vorigen Perioden wargeredet, daß ich gelogen habe und
nun felet der goldnen Krone (dein Name) dieses Briefs der
Kopf nicht
mer und der Titel kam nur, wie bei vornemen
Männern, etwas früher
als der obige Kopf. „Wem Got ein Amt
giebt, dem giebt er auch
„Verstand; aber Got versteht mich“
sezte Sancho noch hinzu und viel
leicht auch
du mich. — Ich wolte oben sagen, daß das Ende eines
Briefs
leichter geboren wird als der Anfang desselben und nichts ist
leichter als den „gehorsamen Diener und Freund N.“ an eine Pointe
anzuspiesen. Zur
Verschönerung des Degengefässes gehört Kunst und
Silber; aber
zur Bildung seiner Spize Stal und ein Schleifstein, der
iezt
meinem Federmesser — und du sezst wol noch dazu, meinem
Wize —
felet. „Freiheit im Denken“, schrieb ich einmal dem Doppel
„maier, zeugt nicht nur „gute
Bücher, sondern auch gute Briefe“ man
redet aber am Ende des
Briefs freier, ergo auch besser; ie mer Mühe
ein Einfal kostet, desto weniger ist er sie wert und nur das,
was die
Oberfläche der Milch, sogleich anbietet, ist höfischer
Ram oder leipziger
Sane; eben so gebären die Weiber die toden Kinder mit grössern
Schmerzen als die lebendigen
Daher spint ein Dummer sein Buch mit mer Schweis als ein
Genie das
seinige und Voltaire tödete die Kinder des Frerons
mit weniger Anstrengung des
Arms als der Vater sie gebar. Mit welcher wiederholten Erschöpfung der
Lunge yanet der
Esel die Verlezung kurzer Oren heraus! stat daß die Lerche ihr
Gedicht in Einem Atem wegwirbelt!
. Von einer an der Geburt eines
Leichnams gestorbnen
Frau könte man sagen „sie gebar ihren
„Tod.“
Eben darum schreib ich niemanden lieber Briefe als dir; dies weis
ich erst, seitdem ich dich verlassen. Ich kümmere mich wenig um
das
Deutsche; und neme ieden Einfal mit gastfreundlichem
Gesichte auf, wie
die Gelertenbuchhandlung iedes Buch. Beim
Bücherschreiben ver
anlassen die Menge der Einfälle nur die
Beleidigung des heiligen
Gastfreundschaftsrechts und Rousseau
sagt mit Recht, aber freilich
in einem andern Sinne: c’est l’affluence
des hôtes qui detruit
l’hospitalité. — „Sachen,
sagt Garve, die nicht für das Publikum
„bestimt worden, geraten am besten“ die Briefe
Voltairensgefallen mir
besser als seine Bücher; (so Sevigne’s Briefe, auch Gellerts
Briefe
sind an wirkliche Personen geschrieben) eben so nimt man zu
einem
Briefe feines Postpapier, allein zu einem Buche
(Manuskript) nur
schlechtes Konzeptpapier. Allein mein
Buch und dieser Brief gleichen
einander an Wert und daher an Papier — in Hof giebts kein
besseres.
Dein Brief, den ich eben iezt vor mir [!]
lege, stimt mich in einen
andern Ton und fürt mich auf eine
andre Ursache, warum ich dir gern
schreibe. Die angegebne betraf
meinen Kopf; die zweite, die ich an
geben
wil, mein Herz, dessen Rechten weder meine Philosophie noch
meine Satyre einen Eintrag tun sol. Lieber mag das Herz dem Kopfe
widersprechen als ihm unterliegen; und der Widerspruch ist im
Grunde
nur scheinbar, wie zwischen Helvezius Grundsäzen und
Leben; aber
die Niederlage wäre es nicht, wie bei Voltaire u. a. Was ich
sagen
wolte, war daß sich Empfindungen leichter schreiben als sagen
lassen. Die
Verschönerung noch ungerechnet, welche dem
Gegenstande der erstern
von der Einbildung wiederfärt
und wodurch er abwesend noch mer
gefält als gegenwärtig — dies
lezte ist in solchem Masse war, daß oft das
geringste Wort und
eine gleichgültige Mine des Originals die Kopie
beleidigt, die
die liebreiche Phantasie, von ihm vorher entworfen
hatte — dies
ungerechnet, sag’ ich, so ist schon folgendes genug. Ich
unterdrükke die Aufwallungen des Zorns weit seltner als der Liebe;
und man spielt da den falschen, wo man
es am wenigsten ist, und ver
birgt nur das nicht, was man verbergen solte. Der Ergeiz —
diese
Wurzel der Übel, an der der Geiz nur einen Zweig ausmacht
— ver
ursacht beides. Der gröste Schaden der
Empfind[e]lei ist — wo nicht
die Verdrängung — wenigstens die Verbergung der Empfindsamkeit
und das Gefül schämt sich iezt der Tränen, die die
Verschwendung
entheiligte. — Auch giebt es zwei verschiedne
Zeitpunkte in der
Freundschaft; einen, wo man die Empfindung
sagen kan, da vergütet
der Brief die Abwesenheit; und einen
andern, wo man sie verschweigen
mus, o dan verursacht
schon der Körper eine zu grosse Entfernung. —
Diesen
unsatirischen Ton schlug in mir nicht nur dein Brief, sondern
auch meine gestrige Reise zu deinen lieben Eltern an! Ich habe tausend
mal mer Vergnügen bei ihnen gefunden als in
einer gewissen Gesel
schaft stolzer
Neulinge, wovon ich unten reden wil. Ich wolte noch viel
mer sagen, aber ich fürchte daß dir diese Stelle meines Briefs vielleicht
lächerlicher scheinen könte als die andern, die es sein sollen.
Nicht daß
ich dir dadurch weniger Gefül zutraute! Sondern nur
der Schein, mir
selbst zu widersprechen, könte deine
Ernsthaftigkeit aus der Fassung
kizeln. Welche Widersprüche
werden mir nicht deine Augen leihen!
Aber du sagst mir
nichts; du verschweigst meine Feler, wie ich meine
Empfindungen. — „Gleich!“ ich meine den, der mich schon zweimal
zum Essen geruffen; nun zerschneidet das Esmesser die ganze
iezige
Ideenkette und die Lebensgeister steigen aus dem edlern
Eingeweide in
ein niedrigers Stokwerk hernieder und die
Empfindung wälet stat des
Herzens den Gaumen. — — —
Schönes Wetter erzeugt selten einen schönen Brief. Die Hize reizt
zur Bildung leiblicher, aber nicht geistlicher Kinder und am
warmen
Mittage scheint Apollo die Stralen, die er der Gasse
verschwendet, dem
Kopfe zu entziehen..... Da ich noch überdies gegessen habe, so
bin ich
so dum und träge, wie das Tier, das sonst nur schlechte
Disteln frist.
Diese Trägheit erinnert mich an eine gewisse
Stelle deines Briefs,
über die mir eine Bemerkung
erlaubt sei. „Der Ideengang eines
„Hipochondristen nach dem
Essen ist so unordentlich als die Bewegung
„seiner Säfte.“ So
heist die Stelle. Wo felet derselben Wiz? nicht am
Gedanken,
sondern am Ausdruk, dem man erst die Wörter abschneiden
mus,
die die Vergleichung zwischen den zwo gegebnen unänlichen
Ideen erschweren. Ändere ihn kurz so um: „die Verdauung verwirret
meine Ideen und meine Säfte.“ Der Gedanke ist derselbe, allein
die
Kürze des Ausdruks macht die Änlichkeit der unänlichen
Ideen auf
fallender; stat daß sie der
deinige verstekt. Von den „Ideen“ brauchst du
das Wort Gang; von den Säften das Wort Bewegung; nimt man
aber zu beiden dasselbe Wort, so leuchtet iedem die Änlichkeit ein.
Daher schrieben alle dieienigen wizig, die kurz schrieben; Pope,
Seneka,
Tazitus, Rousseau, Voltaire, Montaigne. Niemand bestätigt
besser
diese Bemerkung als Wernike. Daher rechnet man Kürze zur ersten
Erfordernis des Epigrams. Salz bleibt auch im Wasser Salz; aber
niemand sieht es, daß es Salz ist — einen Chemiker
aus
genommen.
Die Annäherung des Posttags entreist mich dem Strome von un
zusammenhängenden Gedanken, denen ich schon einen halben
Bogen
durch one kritisches Ruder gefolgt; aber mit eben dem
Vergnügen,
womit der gen Himmelsehende
[!] Rousseau sich vom anarchischen Bote
tragen lies. Auch ist mir an dem baldigen Fortkommen dieses
Briefs
darum viel gelegen, weil er das Verzeichnis der Bücher
in Folio, die
der Pfarrer in Rehau aus der Aukzion verlangt, in
sich schliest. Das
Zettelgen giebst du dem dir bekanten Man. Du tust diese
Gefälligkeit
nicht blos demienigen Freunde, dem du schon
so viele getan, sondern
auch demienigen, welchem du einst noch
manche tun wirst.
Schreib mir Neuigkeiten von Leipzig, für die aber deine Neugierde
von mir ser wenig Prozent ziehen möchte. Schreib bald, und iede
Woche und lange lange Briefe. Unsern Briefwechsel würde auch
eine
philosophische Balgerei nicht übel kleiden z. B. von der
Unsterblichkeit
der Sele etc. Alle deine Einfälle, die du
neulich schon ausgebrütet hast
und die nunmer schon
Federn haben müssen, schikke mir ia mit der
nächsten Post.
Wüstest du, wie viel Vergnügen mir deine Briefe auch
in dieser
Rüksicht machen, du würdest mir es seltner versagen! — Ich
habe
schon soviel Vergnügen, wenn ich dir schreibe; wievielmer, wenn
ich dich lese. — Bedenke überdies meinen Aufenthalt im abscheulichen
Hof, wo das Gehirn mit der Zunge in Plumpheit weteifert und wo
das
Tier, das mir in Rüksicht der Gleichnisse zum Pegasus dienet,
mit
seiner Kele den höfischen Dialekt und mit seinen Oren den
höfischen
Verstand abbildet. — Ich versprach dir oben die weitere
Erwänung
einer gewissen Geselschaft; aber dieses und tausend
andre Sachen mögen
solange in meinem Gehirne ruhen bis
ich sie für die künftigen Briefe
auferwekke. Bemerkung: die
leichteste Art, einen Brief zu beant
worten,
ist ihn gleich nach seiner Lesung zu beantworten. Folge dieser
Bemerkung, und du wirst soviel Nuzen daraus ziehen als ich daraus
ziehen werde. — Hat mein Hausher noch nicht auf mich geschmäht?
ich hoffe es und bitte dich, mir seine Schmähungen ins
Deutsche zu
übersezen und zu schikken. — Leb wol, guter guter Örtel, und
vergis
den nicht, der warlich niemand unter allen Menschen mer
liebt als dich.
P. S.
J’ai commencé ma lettre dans ma langue, je la finis dans la
française. C’est un monstre avec une tête allemande et
une queve
française. Je n’ai plus rien à dire; mais c’est
celà même que je te
veux dire avec la bouche de la
nation, de qui les armoires en sont
aussi l’image. La
fleur de lis plait par son odorat et par sa figure;
mais elle affaiblit la tête et le trouble au moins par des douleurs.
Si celà n’est pas le portrait de la nation; il est au
moins celui de
Voltaire. — J’ai deja formé VII lignes, et
aucune pensée; mais
elles doivent annoncer à la
huit[i]ême la pensée qui peut-être
ne
viendra pas dans celle qui est dejà finie. — Pardonne
les peches
contre la grammaire; j’ai laissé la
mienne à Leipsic comme celui,
qui ne peche contre elle. Mais tu ne sais aussi
parfaitement la my-
thologie que la grammaire. Car tu attribues à ma lettre
satyrique
une vertu anti-narcotique. Il est vrai que les
fleurs du Parnasse
comme celles des prés (Wiesen) font dormir, et que les orties
(Nessel) aiguillonnent au lieu
d’assoupir. Aussi disent-ceux qui
savent l’Oeconomie, que
les orties donnent un fourrage plus meil
leur que le foin (Heu) qui
dans le fond n’est que la collection de
fleurs fletries.
Mais pourquoi ne te souviendras-tu pas de Momus,
qui est le fils du sommeil et de la nuit. Ma modestie
t’irritera peut
être si fort que tu
ajouteras: Momus est aussi le demifrére de la
bêtise.
—
Reponds à mon postscrit par un autre; s’entend dans la langue,
que j’écris le plus mal; c’est-à-dire dans celle que
tu écris le
mieux. —
J’ai dit à ma mére, qu’un cordonnier à Dresde est mort de joie
d’avoir gagné le gros lot. Elle espére de le gagner aussi
et ne
craint pas d’en mourir aussi. Elle veut donc
que je te demande le
prix des billets. Si elle gagne
comme je l’espere, le public gagne
aussi: car j’écrirois
plus rarement des satyres et il ne me faudroit
non plus
de me nourrir par le sommet, contre la nature des arbres,
qui, semblables aux messagers, se nourrissent par les pieds.
En vain je tache de remplir cette page. Elle demeura vuide
parce qu’il l’est ma tête. Si tu trouves aussi ce
postscrit vuide
d’idées et plein de ce qu’on appelle
faux-brillant, souviens-toi que
le postscrit est le
desert d’une lettre, lequel se fait des confitures
et des
mets de parade (Schauessen). Mais pour le repas on y
veut
du pain et du rostbief. Il faut finir cette lettre pour n’être pas
semblable aux apôtres, qui prophetisoient la fin du monde.
Elle
viendra peut-être; mais celle de mon postscrit vient
dejà.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_47.html)