Von Jean Paul an Johann Adam Lorenz von Oerthel. Hof, 7. Juni 1783.
Brieftext
Lieber Örthel,
Ungeachtet ich krum und lam nicht durch die Räder sondern den
Wagen gerädert angekommen bin, und noch nas von der Ölung der
lezten Poststazion, so sez’ ich mich doch eilig her, um dir ein
Ding zu
schreiben, was du für keinen Brief, sondern für ein
Stük Papier
halten kanst, auf dem adio,
segno, u. s. w. steht. Schon fang’ ich an,
dich mit
geschriebnen Bitten zu verfolgen und dich in der Ferne noch
mer
als in der Nähe zu plagen. Ich habe nämlich meinen Haupt
forceps zu meiner Bücherschreiberei vergessen: „Geschichte. Dritter
Band. 1783.“ Dieses
Schreibbuch liegt auf meinem Arbeitstische. Du
hast den
Schlüssel zu meiner Stube. Meine Bitte kanst du erraten.
Schreib aber auf dem Umschlag, in welchem du mir dieses nötige Buch
schikst, die geldersparende Lüge „gedrukte Sachen“; welches
iedoch im
Grunde nur mit einer Lüge auf die Warheit
pränumeriren heist: denn
ein Teil seines Inhalts wird onehin
gedrukt. — Dieser Brief ist ab
scheulich,
und aus seiner Kalligraphie im doppelten
Sin[n]e (das heist
ich schreibe iezt eine schlechte Hand und einen schlechten Styl(Griffel) —)
kanst du auf den Zustand schliessen, den die obern Glieder mit
den
untern teilen. Meine Bitte ist so schlecht, weil sie
so nötig ist; denn
ich habe sie aufgesezt, eh’ noch die
Meinigen über mein Har sich ganz
ausgewundert hatten. — Übrigens ist die höfische Luft kalt, das
höfische
Getraide klein, und die höfische Dinte ser bleich, wie du selbst
sehen wirst.
Dein Hutfutteral hat von der Reise weniger gelitten
als ich und mein
schöner Hut. Spielt der Hempel, der den
Pedanten so gut spielt, auch
noch den — — — — aber der Hempel ist ia nicht mer in
Leipzig. Frag
deinen Doktor doch von meinetwegen, wie ich die Hypochondrie,
fals ich
sie mir einmal erlachte, aus
den Gedärmen, an die das satiris[ir]ende
Zwergfel so angränzt, exorzisiren könte. Ernstlich: ich weis
gewis, du
würdest diese Bitte in ihrem wörtlichen Sinne eher
erfüllen, als du es in
ihrem unwörtlichen iezt tun
wirst. Leb recht wol, guter Örthel, und
schreib bald und viel.
Dieses Aviso sieht so abscheulich aus, daß du mir
vergeben
wirst, den Schweinskopf d. h. den beschmierten Bogen nur
halb
aufgetragen zu haben; aber meine künftigen Kalbsköpfe erhälst
du ganz, so wie es auch die Hausmutter ieder Hausmutter
anrät,
iedoch von den Fasanen merkt sie an, daß man den Rumpf
so gut wie
den Kopf auftragen müsse und giebt dir dadurch in
einem elenden
Gleichnisse zu verstehen, daß du mir mer als
einen Bogen schreiben
solst..... „Must du denn gleich
schreiben? hör doch auf!“ dies sagt meine
Mama eben iezt zu
mir; aber du wirst es doch nicht nachsagen. Noch
mals lebe wol; mein erstes cura ut valeas galt deinem Körper, wozu
ich dir die Lesung des vierten 〈neusten〉 Stüks des göttingischen Maga
zins und der Porträts anrate; und das
zweite deiner Sele, wozu ich dir
die Jurisprudenz anrate. Lieber Örthel, du nimst doch meinen
Spas nicht
übel? oder wilst du den Zustand der Quelle aus dem
Geschmak beur
teilen, den ihr erst
ein entferntes Ufer mitgeteilt? Das Herz wird immer
auf dem
Durchgange durch den Kopf mit den Merkmalen des schlechten
Wegs
beflekt; aber was ich dir auch scheine, so bin ich doch immer
Hof, den Tag meiner Ankunft [7. Juni] 1783.
Anbei folgt ein Vorschmak vom neusten Produkte des H. Kirsch,
das ich zum Umschlag brauchen wolte, das aber zum Unglük
fliessender
war als das Deutsch des besagten Kirsch.
[Adr.] Herrn Herrn Örthel, Beflissenen der Rechtsgelehrsamkeit,
in Leipzig. Abzugeben in der Petersstrasse im Gasthofe zu den 3. Rosen.
Franco.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_44.html)