Von Jean Paul an Helene Köhler. Schwarzenbach a. d. Saale, 31. Mai 1792.
Brieftext
Mademoiselle 100,000,000,000 Ideen fliegen mir jezt durch den
Kopf und doch
passet keine her. Es ist leichter und angenehmer
mit Ihnen in Krötenhof
zu gehen als Ihnen in Hölzels Palais zu schreiben.
Unter mir wird
jezt gespuhlet — neben mir gezwirnt — draussen gehämmert: und
doch sol ich unter diesem Lärm einen Brief machen, in dem
ich stat des
Garns Gedanken spuhle und zwirne.
Das Beste ist noch, daß Sie Unrecht haben — nämlich in dem
Punkte, worüber wir neulich ein Treffen zu Lande lieferten, in
welchem
ich gegen Sie verfocht, daß die Frauenzimmer selten
Recht hätten
Nonnen zu bleiben. Ich wil in diesem närrischen
Briefe unser neu
liches Gespräch
wiederholen und mir die Freiheit nehmen, Sie unter
dem Namen
Demokratin — weil Sie eine Schuzgöttin für die
Freiheit der Frauenzimmer sein wollen — und mich unter
dem
Namen Kaplan — weil ich in Ihrem
werthen Hause einmal abends
um 10½ Uhr dazu umgetauft worden —
aufzuführen. Wir wollen
beide unsre neuliche Wald- und
Katheder-Rollen vergessen und uns
weismachen, wir giengen in
Krötenhof neben der Demokratin und
dem Kaplan her und horchten ihnen hinter den Bäumen
zu.
Die gute liebe Demokratin sagte: „Solte ein Mädgen, das diesen
„Namen bis ins Alter bewahrt, die satirischen Pfeile verdienen, die
„aus jedem Munde und jedem Buchladen auf ein gutes Geschöpf
ab
„fliegen, das zu gut ist, andre
fesseln zu wollen oder sich fesseln zu
„lassen?“
Der Kaplan, der einen vergnügten Abend hatte, versezte: „im
„Grunde verdienen alle Menschen oder keiner Satiren: denn wir
„haben alle mehr Thorheiten als Haare. Aber womit wil sich Ihre
„gute Nonne vertheidigen?“
„Mit allem! (sagte die Demokratin, und bedekte sich halb, wie die
„Sonne, mit dem Abendrothe eines Parasols) — ach ins weibliche
„Herz sehen zu oft scheele Augen und zu selten
menschenfreundliche.
„Die menschenfreundlichen würden die
Wunden darin finden, die
„jeder Tag hineinschneidet und die
Seufzer, die sich darin verschliessen.
„Nicht blos den
weiblichen Körper, sondern auch die weibliche Seele
„presset
eine ewige Schnürbrust — wir gehen von einer Kette zur
„andern“
— — —
„Lassen Sie mich das trübe Bild ausmalen (sagte der Kaplan):
„denn so weit ist es wahr. Ja, Sie haben Recht, die Vorurtheile, die
„für uns Blumen sind, werden für diese schönen Wesen Disteln —
ihre
„Lehrer, ihre Geselschafter, oft ihre Eltern, alles
trampelt auf den
„Paar Blumen herum, die sie sich etwan
pflegen und brechen wollen —
„ihre Hände werden so viel, ihre
Köpfe so wenig beschäftigt, sie
„dürfen stat der Füsse blos
ihre Fächer bewegen und ihnen wird nichts
„verziehen,
am wenigsten ein Herz“ — —
Demokratin: „Aber wie wollen Sie mich widerlegen? — Wer kan
„nun noch hart sein und spotten, wenn eine so bedrängte, von ver
„wickelten Ketten so gedrükte nicht den
Muth hat, das Beste und
„Weichste was sie noch hat, ihr Herz
in mänliche Hände zu liefern, von
„denen sie nicht
weiß, werden sie es erwärmen oder zerdrücken, werden
„sie es
tragen oder martern — was giebt es auf der Erde für eine
„gefährlichere Wahl als die, die nie gutzumachen ist und die allen
„Tagen des Lebens bis zum lezten das Kolorit ertheilt? Und kan
sich
„eine nicht rechtfertigen, die der Wahl ausweicht, wenn
sie ein schönes
„bandenloses Leben unter Freundinnen,
unter leichten Pflichten, unter
„wiederholten Jugendfreuden
vor sich liegen sieht?“ ....
„Machen Sie den Rahmen um Ihr Gemälde (sagte der Kaplan)
„und
vergessen Sie die nicht, die vielleicht den einmal fanden, an
„dessen Arm sie gleichwol sich durch alle diese Dornen gedränget
„hätten, der aber vor ihnen auf ewig umsank und unter jene
Dornen
„begraben wurde. In gewissen Jahren ists schwer zu
vergessen, was
„man liebte — und noch schwerer zu ersezen. Das
zerrissene Herz trit dan
„in die einsame Zelle zurük und sucht
höchstens noch — Freundinnen.“
„Sie sind also gar meiner Meinung?“ sagte sie.
„Behüte der Himmel! Als Kaplan bin ich aufs Kopulieren
„aus.“
— — — —
Beide standen auf der Anhöhe, wo man nach Krötenhof hinein und
auf einen grossen mit Wäldern und Wolken bedekten Wal
hinüber
sieht — hier schlug der Kaplan
die Arme aus einander und rief ins
Freie: „giebts in der weiten
Welt eine, die eine Kaplänin sein wil: hier
„steht der Kaplan!
— Aber ernsthaft: ich und meine Kaplänin haben
„tausend
Gründe. — Nach Ihrer Schilderung und nach meiner
„machten gerade die besten Mädgen den Finger krum, an den man
„den Ehering zu stecken suchte: wir wollen aber zu diesem
besten
„Mädgen in ihrem 67 Jahre gehen und sehen wie ihr ist
ohne den
„Ehering … Recht schlecht ist ihrs — wir finden sie
einsam, unbekant,
„ohne Freunde (die ausgenommen, die
nicht in ihr Herz sondern in ihr
„Testament wollen), ohne
Freundinnen — denn die aus den Junius
„Jahren der Jugend haben ihr Herz zurükgezogen und es ihren
„Kindern und Gatten gegeben — sie hat niemand, der sie und den sie
„liebt, und sie kan stat eines Mannes blos eine Schooskaze
plagen, die
„nicht einmal so aufrichtig ist als er —
stat der Kinder erzieht sie
„Kanarienvögel — stat des
unaussprechlichen Verdienstes einer Mutter,
„die wie Gott,
kleine Adam’gen und Ev’gen in die Erde einführt, und
„einer Hausfrau, die dem grossen Adam, dem Man, die Sorgen und
„Runzeln nimt, hat sie blos das Verdienst sich selbst zu
lieben oder
„vielmehr zu hassen; grosse Langweile und
grosse Gebetbücher zu
„haben und am ersten Feiertag allein zu
essen und an einem langen
„Winterabend keinem Menschen ihre
Jugendfreuden erzählen zu
„können als ihrer alten Magd — — Das
gute Mädgen dachte freilich,
„sie bliebe das ganze Leben
durch, 17 Jahre alt; aber die Jugend
„Gespielen stehen nun weit von ihr auf einem andern Berg und seit
„30 Jahren stattete nichts Jugendliches bei ihr eine Visitte ab
als
„heute wir, die Demokratin und der Kaplan. Wenn wir fort
sind,
„stirbt sie allein und unbeklagt und unvermist.“
„Vielleicht doch! (sagte die menschenfreundliche Demokratin)
„Beklagt von Armen, denen sie Brod, von Kindern, denen sie
Er
„ziehung gab — —“
„Wenns ihre eigne nicht sind (fiel der Diakonus ein), gehts gar
„nicht: Erziehung armer Kinder ist blos ein bunter Maien-Traum;
„der Kandidat Schifner weiß es, der sich heuer auch verehlicht.
Ueber
„haupt ist das so viel als wenn
ich die Beicht-Kinder meiner Kap
„lanei stehen liesse und dafür ganz fremde auf dem Kap
aufsuchte und
„absolvieren wolte. Wenn der Man, der doch allen Henker zu
machen
„hat, z. B. Bücher, Reisen um die Welt, Protokolle,
Briefe, Predig
„ten, Eroberungen und der
darüber oft keine Hochzeit machen kan,
„kaum zu entschuldigen
ist: wie wils eine Frau, die weit mehr Zeit hat,
„sich zu
verloben und die erst am Traualtar ihre grösseren Verdienste
„und Kron und Zepter empfängt, um zu beglücken und zu beherschen
…
„Ah da ist schon Krötenhof: so sind wir gelaufen! Aber ich
wil Ihnen
„eine schriftliche Widerlegung schicken.“
„Die vergessen Sie wieder“ sagte die Demokratin.
Hier steht sie ja und ich sehe erst, daß ich der Kaplan selber bin.
Ich habe neun Bitten an Sie, müde, geduldige und vortrefliche
Leserin, zu thun, eh’ ich dieses lange Gekrizel beschliesse — Die erste ist,
es zu verzeihen, besonders dessen Länge und lustig-ernsthaften
Ton —
Die zweite ist, mir einen noch längern Brief zu
schreiben — die dritte
ist, daß Sie die Güte haben, es bald zu
thun — die vierte ist, mir in
Ihrem Briefe ein kleines
Aviso zu geben, wie viele Blätter Ihre
Demoiselle Schwester
schon an dem ihrigen geschrieben — die fünfte
ist, meine Hand, d. h. meine Buchstaben für schön und net zu
halten —
die sechste, siebente, achte ist, mich Ihrem ganzen
vortreflichen Hause
zu empfehlen und mich, neuntens, immer für den Kaplan zu
halten, der
unter allen Kaplänen am meisten und mit der
grösten Hochachtung und
Freundschaft ist
gehors., aber um eine halbe
Seite entfernter und hier
sizender Diener und Fr[eund]
Fr. Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_389.html)