Von Jean Paul an Helene Köhler. Schwarzenbach a. d. Saale, 22. Juni 1792.
Brieftext
Ich schreibe diesen kleinen Brief, um mich zu entschuldigen, daß ich
gelogen und keinen langen geschrieben. Die Unsterblichkeit oder
Ewigkeit des Menschen erschöpft kein Buch, geschweige ein
Brief; der
Gedanke daran durchkreuzt die ganze Schöpfung,
läuft um alle Welten
und Jahrhunderte, schliesset alle
Augen wieder auf, die von Gottes
äckern
zugedrükt liegen, und ist so sonnengros mit seinen Stralen, daß
es leichter ist, einen Tag als eine Stunde davon zu reden: Gleichwol etc.
thu’ ichs. Ich wil dieser grossen Materie einen flatternden
Schmetter
ling vorausschicken. — Ich
hätt’ es schon heute gethan, wenn ich Zeit
hätte, Be
[!] zu sagen, da ich A gesagt. — Ich
habe eine Reise
beschreibung zu machen, die
noch eher fertig werden muß als die Reise
selbst, damit ich
sie 〈das Reisejournal〉 Ihnen bei unsrer Ankunft über
reichen kan …
Reise vorgefallen.
„„Wir giengen gerade um die Stunde ab, wo von dem Sabbaths
fleisch nichts zu haben ist als vorderes und hageres, um 3
Uhr. Ich
hatte mich ganz nach dem Modejournal ausmeubliert
und hatte
namentlich 2 Strümpfe, 1 Ueberrok; unter diesem war ein
Seidengillet
oder veste verstekt, von
der nichts zu sehen war als was ganz war.
Wir nahmen aus
dem Laden 2 Dinge mit, 1 guten Abend und 1 Brief;
ich hätt’ es nicht geglaubt, hätt’ ich nicht Zeichen und
Wunder und
Briefe gesehen. — Draussen ruhte ein erhabner
Tag mit seinen
spielenden Blumen, mit seinen rückenden
Schatten und mit allen seinen
frohen Kindern auf dem Arm vor uns, die wir selbst dazu
gehörten.
Der blaue Himmel bog sich wie ein blauer
Sonnenschirm über ein
blühendes Mädgen — die Sonne stand
lächelnd wie eine Mutter am
Himmel und sah den unendlichen
Schmuk an, den sie ihrer Tochter, der
Erde, angelegt hatte.
Wir vergassen unter dem Sehen das Reden und
unter dem
Reden das Sehen. Aber das Bier nicht. Der Verf. trat in
eine
Kneipschenke ein und genoß, während
O[tto] die Gegend genoß,
das was in ihr gewachsen war, Bier. Der Kneipwirth und seine
Frau
haben vielleicht, so lange diese Biersakristei einen
Bierkegel als Köder
heraushengt, keinem Man eingeschenkt,
der von Stande war und ein
Seidengillet anhatte. Den armen Schelmen bescheerte das Glük
einen
Biergast, der noch dazu ein Badgast war und sagte,
„er reisete heute
ins Bad und morgen zurük.“ Mich dünkt,
Fürsten solten es eben so
machen und oft in wahren
Hundshütten einkehren, damit nur die
armen Wirthsleute
Jahrelang davon zu leben und zu reden hätten.
Ich
schoß den meinigen ein Dreikreuzerstük hin.
Wir eilten so unserm Steeben zu, daß wir hinter dessen Kirchthurm
noch die Sonne untergehen sahen. Der Tag tönte jezt wie ein
fernes
Echo nach — von einem Busch zum andern, von einem
Gipfel zum
andern reichte die Harmonie, die ganze Natur
klang und die an Ost
und Westen aufgebreitete
Himmelsröthe glich den aufgeschlagenen
mit Rosataft
bespanten Thüren eines tönenden Flügels. — Um
8½ Uhr liefen
die 2 Badgäste in Steeben ein und man bließ sie mit
Trompeten und Hörnern wie in Karlsbad, wider ihren Willen an.
Sie standen am Fenster und nach ¼ Stunde, standen wir am
nämlichen, wo ich Ihnen diesen Brief gab und den
Ihrer Demoiselle
Schwester wieß. Um 11¼ Uhr hatten Sie die Güte mir das
bewuste
Buch aus der Lesegeselschaft auf den Sontag
vorzustrecken. — Da sich
meine Feder auf diesem Bisgen
Papier kaum rühren kan: so wil ich
hier anfangen und kurz sagen: daß ich am Sontag in die
Natur, aber
nicht in die Kirche gieng, sondern vor
dem Exordio und nach der
Nuzanwendung zu Ihnen — daß mein
lieber Otto auf der Empor für
mich sang und saß — daß wir alle den weisgebleichten
Pfarrer und
seine Frau und Bibliothek besuchten — daß wir alle so
fröhlich wie
Franzosen waren und daß uns nichts fehlte als Zeit — daß
ich Ihnen
eine Theetasse hinunterstieß und Otto
nichts — daß ich der armen
Sabel (sie wohnt ganz draussen in Steeben, ihr Zuname ist
Schnauber
tin, ich gerieth mit dem guten Thier
unter der Predigt in ein tiefes
Gespräch und erfuhr, sie
würde sich nach der Abendkirche vom Schul
meister ein billet doux an ihren Amanten machen lassen)
selber eines
verfertigte und also schon Vormittags Werke der
Liebe that, die am
Sontag nicht verboten sein können etc.““
— —
Verzeihen Sie, daß ich kein ernsthaftes Wort geschrieben: im
nächsten Briefe wird mein Ton des Ihrigen würdiger sein. Ich schliesse
mit der Versicherung, die ich morgen und übermorgen oft
wiederhohlen
werde, daß ich mit gröster Hochachtung und
Freundschaft bin
gehors. Diener
Fried. Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_391.html)