Von Jean Paul an Anna Marie Sophie Ellrodt. Hof, 27. Juni 1783.
Brieftext
Ich mus das Vergnügen entbehren, Sie zu sehen; was ist natür
licher als daß ich mich dafür durch das Vergnügen schadlos
halte,
Ihnen zu schreiben. Freilich felet mir der Stof, diesen
Brief aus
zufüllen. Schrieb’ ich an
ein Frauenzimmer, das Ihnen nicht gliche,
so würd’ ich an
demselben Schönheit, Artigkeit und wer weis was
〈andre Reize〉
loben und so lange lügen, bis das Blat vol geworden
wäre;
allein da ich an Sie schreibe, so darf ich dies alles nicht sagen,
denn wen interessirt eine schon bekante Warheit und die
einzige
Lüge, womit ich meinen Brief noch anfüllen
könte, wäre etwan die
Behauptung, daß Sie nicht schön und nicht
artig sind. Ich mus ihn
daher mit einer Bitte an Sie ausfüllen,
die mir meine Mama auf
getragen und die sie neulich bei Ihrem so
geschwind verflossenen Hier
sein zu wagen
vergas. Man hat ihr nämlich seit kurzem ein Kapital auf
Jakobi gekündigt, das sie nicht bezalen kan, one ein neues aufzunemen.
Da sie weis, daß in Helmbrechts verschiedne reiche Leute sind,
so
hoffet sie von daher ein Kapital von zwei hundert Gulden zu
erhalten,
wenn der Herr Rath nur so gütig wären, durch ein
wirksames Vorwort
irgend einen Reichen zu dieser Gefälligkeit zu überreden. Sie
richtet
ihre Bitte an Sie, da Sie zur Erfüllung
derselben den H. Rath am
leichtesten vielleicht bewegen können.
Mereres hinzuzufügen, hiesse an
Ihrer Güte zweifeln.
Ich fürchte nicht, daß Sie das neuliche Donnerwetter noch auf dem
Wege angetroffen. Man sagt, daß der donnernde Jupiter mit
seinen
Wettern die Venus, wegen der Verwandschaft verschone.
Aber ich
bin ein Christ und darf daher nicht an den Jupiter glauben;
allein ich
glaube demungeachtet an die schöne Venus, die alle glauben:
denn
ich nenne mich etc.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_49.html)