Von Jean Paul an Johann Adam Lorenz von Oerthel. Hof, 13. Februar 1785.
Brieftext
Mein Örthel,
Ich habe dir wenig zu schreiben, aber ich wolte den Brief an die
Weinertin nicht ganz ohne Begleitung lassen. Dieser Brief enthält die
Nachlese von den vorhergehenden.
Dein H. Vater sagte mir neulich, daß er dich auch auf Erlang noch
lassen wolte: du würdest Mühe haben, ihn von diesem Entschlusse
abzubringen.
Der lezte Sommer, den wir mit einander hier verleben wolten, sol
für uns recht viele Galatage haben und
beinahe aus lauter Flitter
wochen, (stat daß iezt uns Zahlwochen peinigen) bestehen. Viel
leicht wird dir dan hier nichts fehlen als der — Herman, den dir niemand
ersezen kan. Ich werde wol nicht eher ruhen als bis ich mich
mit
ihm verloben dürfenIch spiele
auf die Gewohnheit der Morlakken an, bei denen ein Paar Freunde
sich ordentlich kopuliren und feierlich einsegnen lässet.
Bei den Griechen war die
Freundschaft der Männer oft im eigentlichen Sinne
eine Ehe; aber daß das Gesicht
mit ins Spiel kam, das that
der Freundschaft gewis keinen Eintrag. An etwas
Körperliches müssen alle unsere Empfindungen sich halten und das griechische
Feu[e]r der Freundschaft
würde gewis bei uns noch häufiger sein, wenn es sich
noch
von der körperlichen Schönheit mit nährte, an deren Stelle man iezt lieber
Geld und Ehre treten lassen. Was ist die Liebe der
Freundschaft mehr als ein
zeremonieuses Feuerwerk, wenn man sich die Liebe des Geschlechts denket, diese
Gluth von Brenspiegeln, welche die Sonne auf die Erde
herunterziehen? Daß sich
dieses Feuer zulezt mit einem
Sinnenküzel und -triller endigt, kan nur dem anstössig
sein, der das Geschlechtsvergnügen an sich für etwas
niedriges hält. Wer die
Reinheit und Höhe kent, zu
der einige unserer Empfindungen nur ein- oder zweimal
im
ganzen Leben getrieben werden; wer das Hinkende, Niedrige, Mangelhafte,
Kraftlose, Flüchtige und Unbeständige, das unsere edlern
Empfindungen immer
entstellet, mit den Idealen
zusammenhält, die in seiner Sele davon liegen: der mus
gestehen, daß dieses Leben ein elendes Spiel- und Flikwerk ist und daß wir
bestimt
sind, hier auf der Folter unserer Wünsche
und des Gefühles unsers Unvermögens
zu liegen, wofern es
nicht ein zweites wahres Leben giebt, wo unsere Empfindungen
aus einem ungesunden dunstvollen Winterhaus ins Freie und in die Strahlen einer
grössern Frühlingssonne kommen, wo die Freundschaft die
Flügel der Liebe nimt
u. s. w.
: denn ich glaube, Montaigne hat doch nicht
ganz Recht, wenn er meint, man dürfe nur soviele
Freunde als Weiber
nehmen. Wenn (ich komme von einem aufs
andere; aber du wirst mir
die fliegenden Gemsensprünge meiner
Phantasie so gern verzeihen als
den ziehenden Faulthiergang
meines Briefstils) wenn nicht Ähnlichkeit
des Kopfes, sondern
blosse Ähnlichkeit des Herzens die Freundschaft
machen können
sol: so fehlet hier doch noch manches. Blosse gegen
seitige Tugend kan Hochachtung erregen, aber eine Vereinigung
wie
zwischen Montaigne und Boethie stiftet sie wol schwerlich.
Wenn ich
einen fragte: warum liebst du nicht lieber dieses Mädgen,
das wenig
stens eben so schön, gut und klug
wie das ist, an dem du hängst: so
würde er mir nichts zu
antworten wissen; ich aber würde an seiner stat
sagen: mit der
Liebe ists wie mit der Freundschaft und wie mit allen
Empfindungen, die auf tausend unsichtbaren und im freien schwebenden
und fliegenden Fäden ruhen. — Platner empfiehlet eine gewisse
feine
und höfliche Zurükhaltung, eine gewisse Etikette in der
Freundschaft
und warnet vor grosser Vertraulichkeit: du wirst
aber gewis fühlen,
daß diese Regel auf Montaignes Freundschaft
gar nicht passet: passet sie
freilich auf die gewöhnlichen, so ist es ein Beweis, daß sie
wenig taugen
und daß Freunde, die zu diesem wolthätigen
Betruge ihre Zuflucht
nehmen müssen, entweder viele Fehler
haben, von deren Verlarvung
die Dauer und der Grad ihrer
Freundschaft abhängt, (d. h. also ihre
Liebe hat Vorzüge zum
Gegenstande, die beide gar nicht haben)
oder sonst
Volkommenheiten an einander wenig genug kennen, um
nicht sich zu weigern, dafür Fehler zu übersehen.
Ich komme von der Freundschaft, nach einer bekanten poetischen
Figur, auf die Hofleute und erzähle dir eine schöne Anekdote
von
einem. Unter dem vorigen Margrafen
[!] war einmal ein Hofman,
der hatte einen schönen Hund. Der schöne Hund war einmal mit
dem
Margrafen und seinem Hern und vielen Hofleuten in
Einem Zimmer
und lies seinen Urin ans Bein des gedachten
Margrafen. Die ganze
stehende Armee desselben fiel iezt mit
Waffen über den Hund her;
besonders that sich unter denen, die
ihn hinausprügelten, sein Herr
hervor. Zulezt gieng auch der
Margraf den Weg des Hundes und sein
Herr hielt an die
Anwesenden folgende Rede: „Wenn ich ie etwas
„gethan habe, was
eines ächten Hofmans nicht ganz unwürdig ist, so
„war es iezt.
Der Hund, den wir mit einander hinausprügelten, ist
„mein: ich
habe kein Weib, kein Kind, keinen Freund; aber den Hund
„hab’
ich stat des allen und lieb’ ihn. Sehen Sie indeß, da der Hund
„in die Ungnade meines Fürsten fiel — so kant’ ich ihn nicht
mehr und
„schlug ihn mit.“
Mein voriges Geschwäz sagte dir nichts, was du nicht wustest; aber
wenn ich dir das nicht sagen sol, was du schon weist, warum
sagst du
mir so oft und ich dir, daß ich bin dein Freund R.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_93.html)