Von Jean Paul an Joseph Anton Henne. Bayreuth, 13. Juli 1821.
Brieftext
Ihr Difficho allein entscheidet; und macht daher künftig alle Briefe
über ihn entweder überflüßig oder vorzeitig und unnütz. Erst
nach der
Anerkennung oder auch Verkennung eines Kunstwerks
kann die Welt
an Briefen und Urtheilen über dasselbe, zumal
vom Verfasser selber,
Antheil nehmen. So warten Sie denn mit
den Ihrigen, wie ich mit
meinem, bis das Werk lebendig vor
Deutschland steht und spricht. Wäre
dann an meinem Lobwort darüber noch etwas gelegen: gern
sprech’
ich es öffentlich aus. — Kein Verleger nähme
Ihre Briefe wegen ihres
auf ein gar zu enges Publikum
beschränkten Interesse an, sogar wenn
ich gegen meine
Grundsätze eine Vorrede dazu schriebe; aber diese ver
boten es mir schon seit Jahren, wie so manche
Handschriftsteller be
zeugen könnten, die
eine foderten. — Ihre vielseitige Belesenheit be
zeugt und vermehrt Ihre Geistes Freiheit.
Ihre orthographischen Neuerungen werden leicht bei den wichtigern
des Dialekts überwunden. Hochdeutsch wird zwar mit allen
seinen
Übellauten den Thron fortbehaupten; aber das Altdeutsch mit
seinen
noch in der Schweiz athmenden Wohllauten kann und soll
durch die
Dichtkunst uns vertraulicher genähert werden; und
die Schweizer
selber
[werden] Ihr patriotisches und Ihr
dichterisches Feuer besonders
ehren und anfachen. Indeß
würden Sie doch, glaub’ ich, weit näher
Ihrem Sprachziele
kommen auf dem Wege Hebels, der nur kurze
Dichtungen gab. Daß keine Nazion zwei Epopöen hat — die
franzö
sische nicht einmal Eine — und
daß sogar ein Sonnenberg mit seiner
starb: dazu muß der Grund viel tiefer gesucht werden als in
der Selten
heit epischer Talente.
Verzeihen Sie übrigens, daß ich eben so freimüthig gegen Sie war,
als Sie gegen mich gewesen. — Leben Sie glücklich, brauch’
ich kaum
zu wünschen;
ein[en] Dichter kann wenigstens sein
Innen beglücken,
wenn auch nicht immer sein Außen; und womit
er andere erfreuet,
damit kann er sich ja aus der ersten
Hand erfreuen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_195.html)