Von Jean Paul an Caroline Richter. Nürnberg, 30. August 1823 bis 31. August 1823.

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Brieftext


Nürnberg d. 30ten Aug. 1823 [Sonnabend]

Meine geliebte Karoline! Erst g[est]ern Mittags kam ich für 1 Kronen
thaler Fuhrgeld hier an. In Erlangen besucht ich erst Mittwochs abends
Schelling, dessen gefällige Frau eine Theegesellschaft aus Alten mit
bloßem Butterbrod ohne Rack traktierte. Beide wollten mich zum
Abendessen behalten, aber ich [mied?] wegen des vorhergehenden
starken Biers Abendtrinken und Reden. Er war voll Liebe gegen mich,
befriedigte mich aber sonst nicht. Am Morgen darauf ging ich zu
Mehmel, der viel herzlicher war. Kapp kann gewiß auf seine Nachhülfe
rechnen, nur eine halbjährige Geduld bei einer aber frühern Gratifika
zion ist nöthig. Er wollte mich durchaus mit Schelling und andern Freitag
Abends in seinem Garten haben und brachte mir noch am Morgen
unter dem Arme zwei Flaschen 22ger Forsterwein, — wofür er 1 Krug
Roußillon annehmen mußte, und der mir wegen seiner Jugend schlecht
bekam — aber ich fuhr ab, um einmal auszupacken; — was indeß noch
nicht geschehen. Die Rechnung im Gasthof betrug ohne Trankgelder
10 fl. Donnerstag Abends war ich bei Kanne in seinem Schwitzzimmer
gegen seine Gicht. Eine herrliche edle Physiognomie! Der äußere Kopf
hat durch sein Christenthum gewonnen, was der innere verloren. Mit
herzlicher Liebe empfing er mich — so wie seine gar nicht sehr gealterte
Frau — Mitten in seiner Heiterkeit bringt er seine theologischen
Schaföhrchen ruhig hervor, z. B. gegen seinen Arzt, daß die Arzenei gar
nichts helfe sondern nur der von oben. Auf Einwürfe hören die Öhr
chen gar nicht. Er zeigte mit wahrer freundlicher Liebe auf mein Herz
und sagte, er verlasse sich auf dieses und es werde schon noch werden
(nämlich kannisch). Ich versetzte, gerade mit dem Alter käm’ ich immer
weiter ab. Er: „Am Ende werden wir schon sehen“ — ich: „hinter dem
Ende.“ Wir könnten recht gut und froh zusammenleben jahrelang, aber
ohne daß der eine am andern das kleinste Steinchen verrückte. Er und
sie lassen Otto und A[möne] recht grüßen und die Magd thuts auch.
Die Kinder gefielen mir. — Den bairischen Kutscher nehm’ ich nur
auf kurze Reisen; immer kommt er zu spät an. Um 5 Uhr wollt’ er in
Erlangen sein, und um 7½ erreichte ers. Dieses verdammte Nacht
Ankommen verurtheilt in die übrig gebliebnen schlechten Zimmer. —
Großen Freuden-Glanz hab’ ich bis jetzo nicht erlebt und hoffe auch
hier nicht die Hälfte des frühern vor Jahren; eher Unfälle, wozu aber
meine erlanger Heldenthat nicht gehört, daß ich in der ersten Nacht
den Nachttopf so auf den Tisch stellte, daß er herabsprang. Bei meinem
Abtritt fehlte wieder der Abtrittschlüssel, damit doch die Zwei da wäre.
Mein Alter macht mir das Reisen immer leerer; sogar die schönen
Naturtage genießt man — den Weg abgerechnet — zu Hause besser.
Dr Wilhelmi ist todt. Appetit und Herzklopfen sind stärker. Lasse ja
alles in nächster Woche machen, weil mir vielleicht ein schnelles
Ankommen (der Wirth im Wallfisch hat einen Kutscher für Baireut)
einfallen könnte. Aber beziehe ja nicht sogleich das neu geweißte
Zimmer. — Briefe, die keine schnelle Antwort fodern, schicke nicht nach.
— Lasse dem Kanzleibibliothek-Besorger Hacker sagen, daß ich nach
meiner Heimkehr die entlehnten Bücher zurücksenden würde.


Sonntag Vormittags
den 31 Aug.

Gestern hätt ich gern meine Reise zurückgethan und verwünscht. Alles
schlägt mir fehl. Die einfallende 14tägige Messe besetzt alle Privat
wohnungen trotz aller Nachfrage des Lohnbedienten, Schrags, der
wegen Gicht nicht ausgehen kann, und des freundlichen Lechners. Noch
hab ich nicht ausgepackt. Gestern Nachmittags gab mir der recht ge
fällige Gastwirth Auernheimer statt meines engen Lochs ohne Kanapée
und Kommode (bei meiner Ankunft war nichts weiter übrig) ein viel
besseres Zimmer, das er mir anfangs [wegen] der 3 Stockwerke nicht
anbieten wollte und das ich gestern in der Schwüle bezog. Muß ich im
Gasthofe bleiben, so fehlt mir all das schöne Häusliche und — Wohl
feile. Auch hab’ ich niemand zum Rathen und blieb bis jetzo einsam.
Da kehr’ ich bald um. Doch rechn’ ich noch auf den gewöhnlichen
Sonnenschein nach dem Gasthofs Regen der Ankunft. — Geheimrath
Klöse mit Frau und Tochter will dich heute abends besuchen. — Ich
habe ziemliche Gesundheit, keine Diarrhöe und (vielleicht durch die
Hitze) weniger Schwind[el]. — Was soll ich den Kindern und der Magd
mitbringen? Und für dich nenne selber ein Modestück, da ich noch keine
Frau zum Rathen kenne. — Adressiere: abzugeben im baierschen Hofe
bei H. Auerheimer. — — Mög’ es dir recht wohl ergehen! Wie
oft will ich, zumal erwachend, in der Täuschung zu dir laufen und
fragen und klagen! — Meine Kinder grüß ich mit dem väterlich
sten Herzen.


Dein
alter liebender
Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 8. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1955.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin JP. 4 S. 8º. J 1: Wahrheit 8,326×. J 2: Nerrlich Nr. 202×. A: IV. Abt., VIII, Nr. 262. 232,13 Beide] davor gestr. Er 18 nur] aus aber aber] nachtr. 233,1 Wir] davor gestr. Beide 15 Appetit] davor gestr. Mein

Angekommen 1. Sept. 232, 12 Schelling war seit 1812 in zweiter Eheverheiratet mit Pauline Gotter. 16–19 Mehmel, Kapp: vgl. Nr. 379.28f. Kannes Frau war J. P.s ehemalige Schülerin Henriette Herold,Amöne Ottos jüngere Schwester. 233, 15 Dr. Wilhelmi: vgl. 81, 14†;er war am 18. April 1823 gestorben. 27 Lechner: Buchhändler inNürnberg; vgl. IV. Abt. (Br. an J. P.), VIII, Nr. 167. 234 , 1 Klöse : wahrscheinlich handelt es sich um den Geh. Kriegsrat Koels aus Berlin (gest. 1834), der, dem Intelligenzblatt der Stadt Nürnberg vom 1. Sept. 1823 zufolge, in den Tagen vom 28. bis 30. August 1823 im Bayri schen Hof in Nürnberg logierte. (Feststellung von Horst Heldmann.) . 234, 6–8 Vgl. 203, 28f.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_392.html)