Von Jean Paul an Gottfried Tauber. Bayreuth, 7. Mai 1824.
Brieftext
Meine Tochter hat aus Ihrer trefflichen Heilanstalt, höchstgeschätzter
Herr Doktor, zu Weihnachten eine wahre Hülfbrille erhalten.
Meinen
alternden Augen aber ist Ihre Kunst noch
nöthiger. Das Sehmaß des
rechten gibt der beiliegende Faden
nach Ihrer Anweisung p. 3. an;
das
linke aber sieht Buchstaben kaum in der Entfernung von zwei
Zollen. Die Pupille desselben ist etwas größer, und die Krystalllinse
scheint (aber nur nach der Ansicht eines Einzigen, andern
gar nicht) sich
leicht von unten auf zu verdunkeln.
Indeß wirft es mir einen Nebel über
das rechte herüber, mit
dem ich ohne jenes bestimmter sehe. Die Kurz
sichtigkeit und das Umnebeln — besonders im Freien, bei
starker Beleuch
tung und bei hohem
Barometerstand und Ostwind — nimmt seit 8 Mo
naten zu. Bei der Lampe les’ ich ohne Brille; aber am Tage
nehm’ ich
sie (doch nicht unausgesetzt) seit ½ Jahre
unter dem Schreiben. Die
selbe
Blattseite kann ich in der Dämmerung nach den verschiedenen
Wendungen gegen das Fenster leichter oder schwerer lesen. Etwas
bessert mein Gesundheit-Zustand, aber im Ganzen ist er eben
gut und
gegen den ganzen Paragraphen 8 p. 5 hab’ ich — Lesen im Fahren und
Gehen
ausgenommen — bei meiner Augenkenntnis nie gesündigt;
auch
keine Augenschmerzen und Entzündungen gehabt; und höchst selten
(jetzo gar nicht) Funken und Flecken, auch kein Doppelsehen
der Buch
staben. Seit 10 Jahren
gebrauche ich eine Marquetsche Lampe (aus
Köthen) mit breiten Dochten; ich bitte mir aber doch eine
einfache nach
Ihrer Angabe zum Schreiben und Lesen aus. Vor 20
Jahren trug ich
eine treffliche Hofmannsche Brille; später
kam der schädliche Wechsel
durch Verlieren oder Zerbrechen; neuerdings hatt’ ich eine
nach Galland
schen Grundsätzen durch Cylinder
geschliffene achteckige und jetzo gar
eine periskopische von
Osterland. Möge die Ihrige alle andern be
siegen! Die Brille, um die ich
bitte, sei in Stahlfassung mit Bügeln und
in Lederfutteral.
Das linke Holglas kann nicht scharf genug sein. Ich
brauche
sie für Ferne und für Schreiben zugleich, doch am meisten für
dieses. Auch bitt’ ich um einige Dochte. Hier sind Proben meiner
Marquetschen. — Und endlich bitt’ ich Sie, mein lieber
Augen
Gewissensrath, um Eile mit
nächster Post, noch eh’ ich verreise und eh’
ich erblinde. —
Kompressen mit kaltem Weine halfen dem linken Seh
nerven doch einigermassen. Meine Augen sind blau, sonst die
dauer
haftesten, mein Alter 61 Jahre.
— Die okulistischen Einsichten, die Sie
in Ihrer „Anweisung“
verrathen, werden mir in meinem Augen-Nebel
zu
Aussichten, und glänzen mir als Hoffnungen entgegen. — Leben Sie
wohl! Mit großer Hochachtung etc.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_433.html)