Von Jean Paul an Caroline Richter. Bayreuth, 16. Juli 1824.

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Brieftext

[ Bayreuth ] Freitags d. 16 Jul. 1824

Geliebte Karoline! Briefschreiben wird mir jetzo — wie du an dir
erfährst — sehr schwer, schon des Papiers wegen. Entschuldige mich
bei Fr. v. Ende und Weller. Diesem dank’ ich herzlich, ob er gleich ganz
Unrecht über den grauen Staar hat. Stranzky und Walter, der höchst
wohlwollend an mir Antheil nimmt, erklären alles für Lähmung der
Sehnerven, die, wie ich erst später berechnete, von der Heilung 〈im
Herbste〉 der großen Flechte am linken Arme durch Schafwolle her
kommt. Die Schwefelbäder — wozu meine Emma alles auf das
Pünktlichste besorgt — wirken trefflich, nur aber noch nicht unmittelbar
auf die Augen. Das linke gewinnt durch den Rheinwein wöchentlich; die
Augenblendungen nehmen etwas ab. Aber das Lesen und noch mehr
das Schreiben bessern sich träge, weil die Beleuchtung nicht strenge
genug auszuwählen ist. In diesem traurigsten Halbjahr meines Lebens
— ach die vorigen Tage der Armuth und Verachtung waren Sonntage
dagegen — wo mir so viel genommen und auferlegt wurde, alle
Freuden genommen, Reise-, Garten-, Harmonie-, Arbeit- und Schreib
freuden und innere, und so viel auferlegt von fremden Herreisen in mein
Haus an bis zu deinem Wegreisen aus ihm, hatt ich am 14ten Abends
durch Walter den ersten frohen Sonnenblick in eine verschönerte
Zukunft, indem er mir den innern Feind meines Körpers — Walter
fand mich abgefallen und den Puls ⅓ schwächer als sonst 〈vor
½ Jahre〉 — aufdeckte, nämlich meine irrige Diät, indem ich bisher
⅔ Wein, Bier, Rosoli so wie Essen weniger genommen. In 4 Wochen,
sagte er, würd ich an den Augen den Vortheil des stärkern Trinkens
finden. Seit einigen Wochen hab ich mehr Appetit; und jetzo vollends.
Ich erwarte seit dem 14ten eine viel schönere Zukunft, zumal in Rück
sicht meiner Melancholie; und es wird euch allen von mir Geplagten
wohlthun. — Ich fürchte, du wirst zu wenig geschont; wozu ist denn
Minona da? Ich kann daher niemand grüßen. — Reisen könnt’ ich
jetzo, sogar bei schönstem Wetter, schon wegen der Kur nicht, wozu ich
keinen Kapfer brauche. Emma ist die trefflichste Hausmutter — eine
bessere als sogar Odilie wird wegen ihrer Laune und wegen ihrer durch
unthätiges Liegen gewonnenen Schwerfälligkeit — bring ihr etwas
Besonderes mit; so wünscht ich für die gute Luise Welden von mir eine
Galanterie zu 1 fl. — Mit deiner Abreise warte und sinne auf eine
bequeme Dresdner Gelegenheit; nur fleh ich dich an, bringe nach so
vielen Opfern von dir und mir, der Familie nicht noch auch Geldopfer,
wie ich aus der Ende Besorgnis wegen ihrer Geschenke vermuthe. Mir
bringe ein Beißzängelchen und eine 12 Zoll lange Säge und mehre
Arten Schreibpapier
mit. Vergiß der Mauth wegen deinen Paß
nicht. Genieße für deine opfernden Tage wenigstens frohe Stunden.
Für uns 3 Kerngesunde sorge nicht: Frau v. Ende und Reck grüße
recht. Besuche ja abends die Terrasse. Lebe wohl, wohl!

R.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 8. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1955.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Goethe- u. Schiller-Archiv. 4 S. 16º (graugelbes Papier). J 1: Wahrheit 8,339×. J 2: Nerrlich Nr. 207×. B: IV. Abt., VIII, Nr. 304. A: IV. Abt., VIII, Nr. 307. 263,10 und innere, und] nachtr. 12 frohen] davor gestr. rechten 20 von mirGeplagten] nachtr. 27 von mir] nachtr. 32 12 Zoll] aus Ellenbogen 35 nicht] davor gestr. dich

Karoline hatte in B einen Brief Dr. Wellers an J. P. übersandt. 262, 29 Fr. H. Stransky von Stranska von Greiffenfels, Medizinalrat in Bayreuth. 263, 10 fremden Herreisen: gemeint ist Richard Spazier, s. die Nachschrift des folgenden Briefs. 24 Kapfer: s. Nr. 511†.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_443.html)