Von Jean Paul an Friedrich Köppen. Bayreuth, April 1825.
Brieftext
Verdrüßlich ists in jedem Falle, wenn man, nachdem das Beste in uns
reif geworden z. B. der Verstand, noch darauf warten muß, bis
noch
etwas Schlimmes auch reif wird, der graue Staar. —
Und der ists
jetzt in meinem linken Auge, und macht
sogar Anstalten, im rechten ein
Stäärchen auszubrüten. Auch
Retina-Schwäche befällt oft die Augen,
so daß ich, für ein
hiesiges Leben, Fegfeuer genug habe — wovon auf
dieses Papier
ein gelber Wiederschein fällt — indem ich mich durchaus
nicht
an das Diktieren gewöhnen und nur schwer und mühsam aus
fremdem Vorlesen — bei der Schnelle und Viellautigkeit
meiner
Lektüre — schöpfen kann.
Nun bitt’ ich Sie, höchstgeschätzter H. Hofrath, um eine Nachricht,
von welcher der verschwiegenste
Gebrauch gemacht werden soll,
nämlich über den Professor
Reisinger, der lange in Ihrer Nähe lebte
und operierte. Ich lernte ihn in einer halbstündigen
Unterredung als
einen reichen hellen Kopf — obwol ein
Bischen der streitenden Pro
fessorenkirche zugethan — kennen. Nun ist die Frage, ob seine Hand so
gut ist wie sein Kopf, und eben so glücklich Licht als
dieser gibt.
Dieß ist meine Frage und Bitte an Sie.
Ach ich möchte so gern und so warm mein geliebtes Werk über die
Unsterblichkeit gar vollenden, und die Sonne durch den
Brennspiegel
näher rücken — und immer fährt Gewölk über
den Spiegel! — Ant
worten Sie bald.
Ich grüße und umarme Ihre liebe Gattin mit der Liebe als hätten
meine Augen nur eine Eros-Binde um. — Mit hoher
Achtung etc.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_484.html)