Von Jean Paul an Caroline Richter. München, 21. Jun 1820.
Brieftext
München d. 21. Jun. oder am längsten Tage 1820 [Mittwoch]
Für einen Brief voll so inniger und heiliger Liebe wie dein letzter war,
meine geliebte Karoline, lass’ ich mich gern umwerfen und
verwunden;
was ist ein körperliches Drücken und Spannen in
der Brust gegen das
geistige Erweichen und Lösen in ihr? Habe
tausend Dank für dein schönes
Herz!
Heute abends wird dir Seeligberger die Berliner
Papier[e] über
bringen. Dein am Sonnabend
abgegangner Brief, ja ein Wagne
rischer vom Sonntage, kamen schon
gestern Nachmittags an. Die heutige
Sonnenwendeheute ist endlich nach so vielen Regentagen wieder ein schöner milder
—Regentag. muß vom Freitag an schöneres Wetter
gebären, auf
das ich das meiste Sehwerthe aufgespart. ¾
Stunden von hier findet
man im Park eine herrliche Aussicht
in Bobenhausen, wo Montgelas
wohnt. Diesen besucht’ ich vorgestern mit Schlichtegroll zu Wagen und
wurde von ihm recht verbindlich aufgenommen. Und doch
fürcht’ ich
mich vor einer Einladung zum Essen, weil ich
einen Wagen nehmen
müßte, der, auf einige Stunden nur
gemiethet, schon 6 Vierund
zwanziger
kostet. Wagen als kleinere Wohnungen sind hier das Theuerste;
sonst alles wolfeil; z. B. für 10 Wäschstücke, worunter 1 Weste und
2 Hemden, zahlt’ ich 15 kr. — Montgelas ist ein wahrer
geborner
Minister und großer Kopf mit einem seltsamen Kraftgesicht;
und, was
ich seinem Lobredner Sömmering glauben darf, ohne
alle Rachsucht und
ohne Beleidigen. Manches mündlich. — Lerchenfeld ist
Unbefangenheit,
Jugend, Anmuth, Arbeitsamkeit und patriotische Redlichkeit
auf einmal
und verdient seine 7 schönen kräftigen Kinder und
seine treffliche un
gezwungne Hausfrau mit dem angehangnen
Schlüsselbunde. — Mein
Brustschmerz ist blos noch ein ganz gefahrloses Spannen, das
am
Morgen jetzo ganz aufhört und nur abends schwach
wieder kommt und
das vor der Abreise ganz verschwunden sein
wird, damit das 4 tägige
Fahren nicht schadet. —
Schlichtegroll sucht mich täglich aus Baireut
hinauszupredigen; aber brustfeindliches Klima und herzleere
Gegend
(die versteinerten Gewitterwolken ausgenommen, die Tyroler Alpen)
und die Besuchmenge zwingen mich, im leeren Baireut
zu sterben
und statt einer akademischen Stelle eine tiefere draußen
neben dem
Bruder Balbier zuletzt anzunehmen und würdig auszufüllen. —
Über
alles will ich mit dir erst das Lange und Breite bereden;
auch Ema-
nuel und Otto bald für einen Abend
bitten, um auf einmal allen alles
zu erzählen. — Mehr über Wetter und Brust als über
die Münchner
muß ich klagen, welche blos eine andere, kältere Weise als
die Südleute
haben. Der Bekanntschaften hab’ ich so viele und
der Zeit so wenig, daß
ich meinen Sömmering 3 mal vergeblich
hoffen ließ und daß ich noch
nicht einmal Niethammer, den ich
nur 2 mal auswärts sah, besuchen
konnte. — Lasse meinen weißen Überrock schön
aufwaschen zum Schlaf
rock. — Rehreny
kann nur Harmoniebier verschaffen, das mir selten
schmeckte; frage doch nach anderem besten herum und schone
einige
Groschen mehr, nicht. — Wolltest du den Wein
abziehen, desto besser. —
Neue Fensterrahmen und große
Scheiben brauch’ ich nöthiger als die
Gaststube; mit
Freuden will ich das Geld selber dazu geben und plage
also
den Schwabacher nicht zu sehr. Leider aber wird er mich
gerade
mit seinen Bauten plagen, wenn ich meine alten Wohnfreuden
mit
neuer Süßigkeit durchschmecken will. — Für Wagner sorgt Barth am
herzlichsten, dann Niethammer und
Thürheim; am Ende des Staat
jahrs wird seine Augsburgische
Sache (die du verschweige) voll
endet sein. Zentner sah ich nicht, weil er blos ankam und abreisete.
Wagnern kann ich seinen Brief nur mündlich beantworten. Kaum
dir
zu schreiben, bleibt mir einige obwol immer unterbrochne
Zeit. —
Gestern war wieder der gute klare, sanfte Welden bei mir; Gott erlöse
ihn bald aus seinem militärischen La Trappe-Kloster oder
Pagen
Gewahrsam und Gehorsam. Danke seiner
köstlichen Mutter für ihr
Schonen deiner; aber wen schonte sie nicht, sich selber
ausgenommen? —
Mein Max bleibt der
alte gute mir unentbehrliche Sohn. — Das hiesige
Orchester hat mich bezaubert; aber der welsche Gesang
entzaubert und
deine Marchetti ist nicht hier;
deutschen hab ich gehört; den bessern
verspricht man mir. — Ein münchner Witziger ist mir noch
nicht auf
gestoßen; aber ich wollte Stein
und Bein schwören, daß man, wenn man
nur aufmerksam
nachsuchte, vielleicht in jeder Hauptstraße einen auf
gabeln könnte. — Dünnere Dinte, Emma, dünnere Dinte! — Grüße
Otto, Emanuel und Welden. — Lebe
wol, theueres Herz.
Ein Thée besteht hier meistens aus Thée — Arrack — Gebacknem —
Wein — Bier — kalten Speisen und Punsch; vielleicht die
einzige
Münchner Sitte, die ich nach Baireut mitnehmen und wenigstens bei
mir beobachten werde.
Lasse doch bei Bomhard nachfragen, ob aus Dresden die 4eckigen
Brillen angekommen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_62.html)