Von Jean Paul an Johann Friedrich d. J. Meckel. Bayreuth, 17. Dezember 1815.
Brieftext
— Schon im Sommer erhielt ich ein Briefchen, welches — wie
sonst Zwerge auf Ritterschlößern den Riesen — das Folio
ankün
digte, das aber nicht eher kam
als Ende Nov. mit einem 2ten Brief
chen — — Zueignung eines berühmten Arztes und Anatomen an
einen dichtenden und scherzenden Schreiber, der Ihre beiden
Titel
nur in sehr fernem und figürlichem Sinn zu erwerben
vermag — daß
wir die Wege der Natur am schärfsten auf
ihren Irrwegen oder
vielmehr Auswegen berechnen und übersehen
können, wie Bewe
gungen der Himmelkörper
aus ihren Anomalien. Gäb’ es lauter
Gesunde, so wäre niemand
unwissender als der Physiolog; und
gingen nicht, würde
Katzenberger fortfahren, mit den Krankheiten
die besten Pathologien unter und nur die elenden
blieben lebendig?
Rathen Sie mir zu keinen Satiren gegen modische d. h. fliegende
Thorheiten. Sie sind vorüber gefahren, ehe man nur zum Bogen E
oder gar zur Vorrede sich hingeschrieben. Die Wurzeln, nicht
die
Blätter der Narrheit muß man abreißen, da diese von
selber fallen,
jene von selber bleiben.
Empfangen Sie hier nicht blos meinen Dank für Ihr mich so
belehrendes Geschenk, sondern auch den Ausdruck meiner Achtung
für den Mann, der so schön die Gegensätze des Wissens und des
Dichtens nicht etwa in einem bloßen Indifferenz-, sondern
Durch
dringpunkt vereinigt.
Denn seltsam genug ist die neuere Theorie,
welche gerade die
Zusammenströmung zweier Kräfte mechanisch als
Aufhebpunkte,
anstatt als wechselseitige Hebpunkte annimmt. In
der
Geisterwelt ist ja gerade der sogenannte Indifferenzpunkt der
höchst-wirkende überall hin; und an den Polen gibts nur Geschöpfe,
in der Mitte nur einen Schöpfer.
Sie sehen, ich wollte auf der vorigen Seite gehorsamer Diener
sagen; und kam doch in die jetzige herüber.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_134.html)