Von Jean Paul an August Wilhelm von Kalb. Bayreuth, 20. Dezember 1815.

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Brieftext

Kopie
[ Bayreuth, 20. Dez. 1815 ]

Ihrem Briefe ... fehlt nichts als zuweilen Kommata; ein fran
zösischer Fehler. Das Streben nach Gutem ist selber ein Gut und
Sie haben, weil Sie suchen; nur wollen Sie nie das Gute, wornach
Ihre Natur trachtet, es sei Wissen oder Thun, um des Glanzes
willen, der es begleitet. Das Höchste muß für sich selber und als
Zweck erwählt und nur das Gemeine als Mittel gebraucht werden.
Alles Gute muß geliebt werden wie eine Geliebte, der man an und
für sich, nicht aber weil sie andern gefällt, oder weil mit ihrem Besitz
zu glänzen ist, Herz und Leben weiht. Zur Stärkung gegen den
glanzsüchtigen Zeitgeist gebrauchen Sie die Eisenkur von Plutarchs
Biographien. Bei den Alten war „Verstand nicht von Gemüth“
gesondert. Sprechen Sie von keinem „Mangel an genialer Leichtig
keit“. Der größte Genius hat etwas das ihm schwer wird und sogar
seine scheinbare Leichtigkeit ist oft die heimliche Tochter einer langen
Mühe. Lesen Sie nur, wie furchtsam und mühsam sich Göthe
hinaufgebildet oder wie Rousseau oder wie Friedrich II. Früh
zeitige Leichtigkeit wird spätere Schwerfälligkeit ... Verzagen und
übereilen Sie nicht; eine fleißige Jugend ist lang, nur eine faule
überkurz.

Textgrundlage

Jean Pauls sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 7. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1954.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H DLA, Marbach (3 S. 8°) (für die Textkonstitution nicht berücksichtigt). K: Lieutenant v. Kalb Dec. 20. i: Denkw. 3, 281 (20. Dez. 1816). B: IV. Abt., VII, Nr. 12. Abweichungen bzw. Ergänzungen von H : 5 Ihren Brief hab’ ich mit vieler Freude gelesen und es fehlt ihm nichts als zu weilen — Kommata; 15 vom 2 1 Grüßen Sie mir recht innig Ihre verehrte Mutter, nach deren Worten und Blicken ich mich mit alter warmer unerlöschender Freundschaft sehne. Es geh’ Ihnen wol! — Unterschrift: Ihr Jean Paul Fr. Richter.

Vgl. Bd. VI, 352, Nr. 815†. August von Kalb, Leutnant im 1. preuß. Garderegt. zu Fuß, hatte nach einem Besuch bei Jean Paul diesem einen längeren, ziemlich verworrenen Brief geschrieben, worin er für die Erlaubnis, ihm zu schreiben, dankte; er glaube aber, daß Jean Paul eine zu gute Meinung von ihm habe, und wolle sich daher selber beschreiben. Er sei noch nichts, sondern möchte nur etwas sein, habe gar nicht die geniale Leichtigkeit und bald zu vollkommenen Dingen leitende Kraft in sich, strebe aber nach einer glücklichen Verbindung des Verstandes mit dem Gemüte usw. Goethe: vgl. Bd. VI, Nr. 710.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_135.html)