Von Jean Paul an Emanuel Osmund. Heidelberg, 20. Juli 1817.
Brieftext
Mein theuerster Emanuel!
So bin ich denn hier wider mein Verdienst so seelig geworden, als
ich kaum in einer Stadt gewesen, Berlin ausgenommen. Aber
wie
ist dieß ohne ein Papier-Ries zu schildern? Ich
vertröste daher Sie
auf meine Frau, und diese auf Sie, und
Otto auf beide, damit doch
eine Art von Nachricht herauskommt, bevor ich auf dem
rechten
Rednerstuhl sitze — auf Ihrem Kanapee.
Einer der wichtigsten Männer hier ist mir der Hofrath Thibaut,
in der römischen Jurisprudenz noch größer als
Savigny — voll
Kraft und Trotz und Übersicht — sarkastisch — poetisch und
witzig
im Sprechen — und der Stifter einer donnerstägigen
— Singaka
demie in seinem Hause. Eine
kleine Anzahl Weiber, Jungfrauen
und Jünglinge tragen die
Kirchenstücke der alten italienischen
Meister, des Palestrina, Leo, Durante etc. etc. vor.
Ohne Krankheit
darf keine wegbleiben — niemand darf zuhören oder dabei sein,
nicht einmal die Eltern,
damit die Musik heilige und die Eitel
keit sie nicht entheilige. Ich gewann ihn durch meine Worte über
die Musik, daß er mir nicht nur den einen Donnerstag mit
italieni
scher Musik gab, sondern jetzo
für den zweiten mit Händel’scher
mich mehrmal ordentlich bittet, als könnt’ ich einen Himmel
ver
säumen. Caroline versteht es, wenn ich sage, hier ist Fasch
wieder.
Das Aushalten der Töne war oft wie das von Glocken und
man
glaubte durchaus verborgne Glocken zu hören. Aber ich
werde ja
einmal ein Blatt finden, welchem ich diese
ewigtönende Edenstunde
mitgebe. —
Mir war, als würden meine Romane lebendig und nähmen mich
mit, als das lange, halb bedeckte Schiff mit 80 Personen — bekränzt
mit Eichenlaub bis an die bunten Bänder-Wimpel — begleitet
von
einem Beischiffchen voll Musiker — vor den
Burgen und Bergen
dahin fuhr. — Der größte Theil der Frauen
und Männer saß an
der langen von dem einen Ende des Schiffes
zum andern langenden
Tafel. Studenten — Professoren etc.
etc. — schöne Mädchen und
Frauen — der Kronprinz von
Schweden — ein schöner Engländer —
ein junger Prinz von Waldeck etc. etc., alles lebte
in unschuldiger
Freude. Meine Kappe und des Prinzen Hut (den aber die
meisten
nicht hinzu gewünscht hatten) wurden ans andere
Ende der Tafel
hinunter gefodert und zwei schöne Mädchen
brachten sie mit Eichen
kränzen umfaßt
wieder zurück und ich und der Prinz standen damit da.
Der
Überfluß an Essen und Wein konnte kaum in einem ganzen Tage
aufgezehrt werden. Der Himmel legte eine Wolke nach der andern
ab. Auf einem alten Burgfelsen wehte eine Fahne und
Schnupf
tücher herunter, und junge
Leute riefen Vivats. In unserm Schiffe
wurden Lieder
gesungen. Ein Nachen nach dem andern fuhr uns
mit Musik und
Gruß nach; abends sogar einer mit einer Guitarre,
wo ein
Jüngling mein angebliches Leiblied: „Namen nennen dich
nicht“ sang. — Im fortziehenden Schiffe wurde
gegessen und seltsam
schifften die himmlischen Ufer und
Thäler vor uns vorüber, als ob
wir ständen. Die Freude der
Rührung ergriff mich sehr; und mit
großer Gewalt und mit
Denken an ganz tolle und dumme Sachen
mußt’ ich mein Übermaß
bezwingen. Nach dem Essen spielten wir
jungen Leute
Spiele (die Wittwe u.s.w.) auf einer Wiese, woraus
ich für
eine Goulon aus Weimar einen langen
Scherz spann. Darauf
tanzte man 1 Stunde lang in einer Ritterburg. Und so zog
denn
am schönen Abend die ganze kleine Freudenwelt ohne
das kleinste
Stören, Misverständnis und Abbruch mit
unverschütteten Freuden
bechern
nach Hause. — Verzeihen Sie die nachlässig durch einander
geworfne Schilderung; zu einer andern gehören Bogen.
Und eben so seelig und fast zu schwer tragend an den Gaben des
Unendlichen stand ich in der dunkeln Nacht im Kreise der singenden
Vivat-Studenten und gab hundert Händen meine Hand und sah
dankend gen Himmel. Was ich gesagt, erfuhr ich erst
später aus
einem Briefe der v.
Ende.
— Ich mag nicht mehr schildern; es nimmt kein Ende. Alle
Professoren und Studenten erfreueten sich über mein Doktor
Werden, was mich freilich wahrhafter ehrt als die
Legazionrätherei.
— Die Schwarz (eine wirklich treffliche Seele) und die v.
Ende
(die mir jetzo als eine der bedeutendsten Frauen erscheint)
grüßen Sie
liebend. Reitzenstein ist in den Bädern. — Ich
grüße hier Otto, da
ich nicht an ihn mit schreiben konnte.
Ihr langes Bleiben in Döhlau hat mich voraus erfreuet, denn
es setzt einige Himmel voraus. — Eben hat mich mein
Buchhändler
Reimer aus Berlin unterbrochen; — ich sagte
bei dem Abschiede zu
ihm, hätt’ er mir statt seines Briefs sein Gesicht
geschickt, so wären
wir auf der Stelle einig gewesen. Kurz
ich lieb’ ihn recht herzlich,
so redlich ist sein Auge und
Außen. Auch vom Hesperus und von den
Mumien ist, wie er sagt, bald eine neue Auflage nöthig.
Vor lauter Menschen und Regen hab’ ich hier noch nicht viel von
der Natur ausgenossen.
Leben Sie nun wol, geliebter Emanuel! Und recht gegrüßet sei
Ihre Frau.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_299.html)