Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Bayreuth, 3. September 1817.
Brieftext
Mein geliebter Heinrich! Der Überbringer dieses ist der auch um
das Griechische und Lateinische meines Sohns so verdiente Pro
fessor Wagner.
Er arbeitet an einer Geschichte der Philosophie,
worin eine Widerlegung des letzten philosophischen
Triumvirats
vorkommt.
— Aber ich eile zu dir! Wie oft mußt’ ich deiner in und außer mir
gedenken bei deinem prachtvollen Sohne in Mainz, der deiner
so
würdig ist so wie seine Frau seiner. Verjüngende Tage hab’
ich
überall am Rheine durchlebt; und er wird mich wol künftiges
Jahr
wieder wegschwemmen und weiter ziehen. Dann genieß’
ich das
herrliche Paar länger und wohne vielleicht unter
dessen Dache.
Neeb in seiner Pachter-Inkrustierung wird dir schwerlich
mehr
gefallen als mir oder ich ihm. Seine neuern Schriften
gefallen mir
— den Spaß abgerechnet — besser, ob sie gleich
der Tiefe der ältern
ermangeln.
Dein dritter Band — den leider der Teufels Buchhändler noch
nicht geschickt — war meine erste Lektüre in Heidelberg. Ich ent
sinne mich — nach zweimaligem Lesen —
weiter nichts als meiner
Beistimmung und Bewunderung; jedoch
wenn ich ihn wieder habe,
kann ich ins Einzelne
gehen. Hegel ist dir viel näher gekommen, nur
Einen Punkt über den Willen abgerechnet.
Verzeih diesen magern bloßen Gelegenheitbrief. Lasse dir den
Überbringer einen Sporn zu einer Antwort sein. —
Wenn deine Augen kalmierend (mit der flachen Hand) und dein
Kopf potenziierend mit den Fingerspitzen und der ganze
Körper à
grands courants
magnetisiert würde: so müßtest du Besserung ge
winnen, obwol nicht sogleich spüren. Bei Fällen wie deiner
bleibt
die
[Wirkung] oft Monate lang aus; kommt
aber entschieden.
Glaube mir und Schelver und allen, die es noch besser verstehen.
[
kleine Lücke
] 4 Wochen lang magnetisierte ich z. B. eine Frau,
die seit Jahrzehnden gräßliche Kopfschmerzen litt, und
vermochte
nur wenig und nur augenblicklich ein Weniges —
seit meiner aus
setzenden Abreise keimte
doch die Besserung heraus.
Wenn ich dich wieder spräche, mein Geliebter: würd’ ich dir
besser und artiger erscheinen als in Nürnberg. Auch Trost würd’
ich bei dir gegen das marternde Gefühl, wogegen das Gefühl
der
Sterblichkeit nichts ist, abholen, daß alles Dasein
nur in Terzien
erscheint und so immer vertröpfelt und so
alles hinter mir nur ein
Punkt wird und daß so meine ganze
Endlichkeit aus einem solchen
Punkt-Leben bestehen
soll, was durchaus nicht sein kann, denn der
Teufel muß
künftig die Zeit holen. Jetzo aber steh’ ich nicht auf
dem
Leben, sondern schwebe nur auf ihm und verschwebe — ich rede
vom Ich der Freude, nicht vom Ich des Herzens und der Ver
nunft.Auch hier wandelt die ganze
absolute Ewigkeit durch eine erbärmliche endvolle
Zeitlichkeit. —
Deine Deinigen seien innig von mir gegrüßt! Aber schreibe mir,
Geliebter!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_317.html)