Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 30. August 1818 bis 2. September 1818.
Brieftext
Mein guter Heinrich! Zuerst meinen warmen Dank für euere
Zwillinggeburt! Deine mir blos zu kurze Vorrede
verschlang ich.
Ein solcher Wiederhersteller des
poetischen Textes beweiset sich da
durch freilich als den besten Übersetzer desselben; denn deine Ver
wandlungen der Prose in die Poesie
setzen viel Englisches voraus
und mehr poetischen Sinn als so viele Engländer haben.
Aus deinen
so ausgesuchten und sparsamen Noten hätt’ ich
entbehrliche wegge
wünscht wie S. 494
e) vom Amphion; selber i) —
oder gar 513 u)
Apollo — S. 497 b) — 500
f) und g).Auch bei
deinen Noten über den Aristophanes fand ich ähnliche, bei dessen
Leser du ohnehin viel voraussetzen kannst.
An deines Vaters Übersetzung hab’ ich die alte Gediegenheit be
wundert, die Silber in das kleinere
Gold für den engern Raum
umsetzt. Nur müssen bei seinem
Grundsatze, daß Text und Über
setzung
sich mathematisch decken sollen, Härten (am meisten in
Romeo) vorkommen, zumal bei Shakespeare’s Knospenhärte
statt
der Blätterweiche. Z. B. S. 249
„Kehr’ um,
träg’ Erd’“
Die himmlische Stelle S. 62 ist entstellt durch
„Ich wein’ um was mich froh
macht.“
Denn nur um das Verlorne und nur über das 〈oder auch dem〉
Daseiende〈n〉 weint man.
Lieber so:
„Ich weine, über was mich freu’t.“
Die nächste Plus-Sylbe ist schon wegzubringen. Einmal
steht (wie
leider auch im Siebenkaes) ein Cherubim, da dieses doch der Plural
von Cherub ist, wie Seraphim von Seraph. Herrlich
benützt und
bereichert er die Sprache wie z. B. mit
Gedünst, Gelümp; unlaß,
die Sprenge etc. etc.; auch
niedersächsisch wie pampen. Ich freue mich
unendlich auf das Fortfahren. —
Nur noch einige Tadelwörtchen! Allerdings ist ein Murki lustig.
Yorik in seiner Reise sagt schon: es wäre (nach der
empfindsamen
Szene) gewesen, als wenn man nach ihr ein Murki hätte
spielen
wollen. — S. 557 Alle Vogelsteller haben
Lockvögel bei Leimruthen;
und mehre werden in ihren
Antikritiken lachen und sagen, du hättest
es bei ihnen
näher haben können als bei Shakespeare. — S. 374
brauchen
und gebrauchen sind so verschieden (ausgenommen im
Perfekt) wie egere und uti. —
Das anglisierende Nachsetzen des
regierten Worts
störte mich oft sehr (z. B. S. 373), im Versmaße
weniger,
weil dieses die größere Wichtigkeit, die man dadurch auf
etwas legt, erlaubt. — Aus so kleinen Nachfoderungen kannst du
ersehen, welche große Vorfoderungen ihr beide erfüllt
habt, wenig
stens für mich.
Ich gehe nun leicht auf den ältern Übersetzer über, der statt des
jüngsten geheirathet worden von Saulinen. Der Vermählring beider
ist Glanzsucht; er in seinem Alter will mit einem
schönen Klavier
Mädchen, sie mit einem
durch Europa als Staelischer Kebsmann
berühmten Ehemännlein prunken. Hätte sie viel warmes
Gemüth,
so würde seine Armuth daran sie sehr
bestrafen. So aber können sie
vielleicht eine leidliche
Ehe voll paralleler Lobjagden führen. Welch’
eine warme,
ja noch wärmere, Freundschaft wäre ihr von mir in
die Ehe
mit einem rechten, heissen, edeln Jüngling nachgefolgt! —
Indeß meine Bücher bringt er ihr — wider deine Meinung — nicht
aus Kopf und Herz zugleich. Vernimm doch ihr jetziges
Urtheilen
darüber. Auch ist ja er nicht einmal mein
ganzer Gegner. Höchstens
wird er ihr Überloben auf das
Ebenmaß herunterstimmen. — Die
Zeitungen stellen ihn in
Berlin an; ists wahr oder Verwechslung
mit Hegel? — Ihr Betragen gegen
mich ist, falls sie ihn schon
damals gewollt und sie die Reiherin dieses
größern Falken geworden
war, in
Rücksicht auf mein ironisches gegen ihn und sie wirklich gut
und würdig gewesen. — Gerade jetzo schreibe mir von ihr
als einem
psychologischen Anagramm, so wie von ihm, und
ärgere dich nur
nicht übermäßig, sondern mäßig.
Eh’ ich nach Mainz ging, schrieb ich: es bleibt schön Wetter bis
Mitte Augusts; dann Regen; dann vom 1 bis letzten Sept.
schön
Wetter. — Eine Betrügerei durch
Auth wäre die schwierigste und
zweckloseste, da ja Schelver
besser selber verschriebe und dann gewiß
anstößige
Ingredienz[i]en weglassen würde; —
eine von ihm wäre
seinem Kopfe
und seinem Gemüthe unmöglich. Ich glaube, er ist
blos noch
nicht reif genug zum Hellsehen, und wurde noch dazu in
diesem überstrengt durch zu vieles Fragen. Gerichtliches mistrauen
des Ausfragen entkräftet auch die
beste Hellseherin. — Für den Brief
deiner herrlichen
Mutter dankt Mann und Frau. Wer setzte in
einer solchen haushaltenden Hand eine solche Feder
voraus? — Der
Sophie Dapping drücke die Hand, die so gern gibt. — Ihren
Bruder
treibe zur Eile; auch schon meiner Neugierde wegen, da
ich eigentlich
noch nie eine ordentliche Rezension des Siebenkäs erhalten. — Hier
meine schwachen Antworten:
Das Wort Perspective ist so
wechselsinnig 〈gegensinnig〉 wie
bei uns das Perspektiv
und die Perspektive.
ad 1. (Was ihr wollt V, 1.) Ich würde
„Spiegelbild“
〈Spiegelwesen, -gestalt〉„Gaukelschein“ ist Scheinschein und also falsch; denn der Schein als
solcher ist ja keiner.
(natural perspective) übersetzen,
höchstens Vexierbild — „Spieglung“ wie in Arabien, wo
die
Sandwüste als Wasser erscheint.
ad 2. (Ende gut alles gut V, 3.) „Geschwärztes
Sehglas“
(scornfull perspective). Eigentlich ein zylindrischer
〈konvexer〉
oder metamorphotischer Spiegel. Für die
Dichtung ists noch
genug: „Kugelspiegel, Kugelglas,
oder Verzerrspiegel.“
ad 3. (König Richard II. Act. II, Sc. 2.)
„Verwandel-〈Ver
zieh-〉gläser“ (Like perspectives) — Hier ist für die Poesie das
Allgemeine, nicht das Mathematische das Beste; wie es
ja im
Englischen auch ist.
ad 4. (in Heinrich V.)
„perspectively“ Fernmalerei —
„Optisch- oder optischer Betrug“ —
„Fernseherei“ „Fernsicht“
— „Trugsicht“ „Täuschferne“
〈Verwandelferne〉. Hier bezieht
sich alles auf die
Malerperspektive, also auf die Ferne.
Von deinem Abraham möcht’ ich doch nur etwas mehr Äußer
liches wissen, und wem er
gleicht. Schreibe mir von ihm; denn ich
liebe ja euch
alle. — Cotta lehnte, nach seiner Gewohnheit, den
Verlag
der von mir sehr gelobten Gedichte Schuhmachers ab. — Deinen
Eltern wünsch’ ich Glück zur Reise, das ohnehin schon
der äußere
Himmel zu geben anfängt. — Und so lebe recht froh,
Lieber!
Schreibe aber bald!
J. P. F. Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_456.html)